Abschied von Chautauqua
baute.
Tante Arlene teilte auf dem orangen Samtsofa die Karten aus. Ella war als Erste dran.
«Moment», sagte Justin und bemühte sich, sein Blatt zu sortieren. Seine Hände waren zu klein für die Karten, das war ein Problem.
Sarah hatte zwei Asse und sonst nur Ramsch, also beobachtete sie, wie Ella, dann Tante Arlene und dann Sam eine Karte zogen und eine ablegten, die Zunge direkt hinter ihren Zähnen in Lauerstellung. Sie zögerte, bevor sie eine Karte zog, versuchte die anderen zu täuschen und vergewisserte sich, ob Sam sie nicht austrickste, während sie dran war.
Sie zog das dritte Ass, sah alle anderen an, während sie es in ihr Blatt gleiten ließ (ohne umzustecken), und legte dann ab. Ella blickte ihr tief in die Augen, um zu sehen, was sie verbarg, und Sarah grinste undurchschaubar, als könnte sie etwas auf der Hand haben oder auch nicht.
Justin zog den Kreuz-Buben und legte ihn auch gleich wieder ab, also konzentrierte sie sich auf Ellas Gesicht, deren Augen die frisch vom Stapel genommene Karte betrachteten und dann blinzelten, während sie sie in ihren Kartenfächer steckte, das Blatt zusammenschob und die Karten nochmal durchging.
«Nichts», vermutete Sam.
«Mal sehen, was sie abwirft», sagte Tante Arlene und schaute Sarah an.
Irgendwer ist bestimmt gleich fertig, dachte sie.
Ella warf den Herz-Buben ab.
«Buben sind's nicht», sagte Sarah.
Tante Arlene musste vom Sofa rübergreifen.
Ellas Gesicht blieb unverändert. Justin kratzte sich am Schlüsselbein, und sein Arm versperrte Sarah die Sicht auf sein Blatt. Er hatte es auf Damen abgesehen. Er hatte drei Stück, und sie hatte die vierte. Sie beschloss, ihn gewinnen zu lassen. Das war eigentlich nicht geschummelt.
«Karo-König», sagte Tante Arlene, legte ihn ab, und Sam schnappte ihn sich.
Sie warteten alle darauf, dass er die Zunge rausstreckte (Sarah beobachtete Tante Arlene, wartete auf eine verzögerte Reaktion), aber er legte den Pik-Buben ab.
«Drei hintereinander», sagte Justin.
Ein zweiter Blick auf Sam, Tante Arlene und dann Ella, und Sarah zog das vierte Ass.
Ihr Glück überraschte sie. Sie musste unwillkürlich lachen.
«Oh-ooh!», rief Ella, und dann betrachteten alle ihr Gesicht und die fünf Karten in ihrer Hand. Es gab keine Regel, dass man die Zunge rausstrecken musste, bevor der Nächste dran war. Es gehörte auch zur Taktik, den richtigen Zeitpunkt zu wählen, wie ein Attentäter. Sie steckte das Ass mitten in ihr Blatt und warf die Dame ab.
Ella starrte sie selbstsicher an wie ein Revolverheld. Sarah schaute genauso zurück und wartete. Justin neben ihr war so aufgeregt, dass er einen Teil seiner Karten fallen ließ. Um die anderen abzulenken, blickte Sarah Sam und Tante Arlene an.
Tante Arlene hatte die Zunge draußen, nur ganz leicht zwischen den fleckigen Zähnen durchgeschoben.
Ella hatte ihre draußen und auch Sam, der wie ein Idiot grinste.
Justin sammelte noch seine Karten ein.
Sie sah, dass die anderen es sahen. Absichtlich verlieren wäre noch schlimmer. Außer ihm einen Tritt zu versetzen, konnte sie nichts tun, also streckte sie die Zunge raus.
«Ha ha.» Sam machte einen auf Nelson, was Sarah nicht ausstehen konnte.
«Nein», sagte Justin und blickte sich verstört und atemlos um. «ich hab gewonnen. Ihr schummelt. Ihr seid alle Schummler. Ich spiel nicht mehr mit.»
Er schleuderte seine Karten aufs Sofa, und Tante Arlene versuchte, sie aufzufangen. Er rollte sich zusammen, weinte diesmal wirklich.
«Verschwinde!», sagte ihre Mutter, stand auf, worauf sich Rufus duckte, den Kopf zwischen den Pfoten. «Verschwinde, Justin!»
Er konnte nicht so schnell aufstehen, und ihre Mutter zerrte ihn am Arm zur Treppe. «Du bleibst oben, bis du bereit bist, runterzukommen und dich zu entschuldigen. So benimmt man sich nicht.»
Sie setzte sich wieder aufs Sofa, noch immer gefährlich, das Zimmer von ihrer Wut erfüllt, und alle Übrigen waren still.
«Vielleicht sollten wir eine Pause machen», sagte Tante Arlene und sammelte die Karten ein. Ella las wieder. Sam hatte einen von Justins Star Wars-Comics. Sarah ging zur Treppe.
«Ich will nicht, dass du hochgehst und ihn störst», sagte ihre Mutter, also konnte Sarah nicht hingehen, um ihm zu sagen, dass alles okay war, dass es bloß ein blödes Spiel und Sam ein Trottel war und dass ihre Mutter ihn nicht hätte anbrüllen
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