Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
Vom Netzwerk:
College-Fiasko, die ständigen Gelegenheitsarbeiten, nächtliche Telefonanrufe aus weit entfernten Städten.
      Wenn Henry eine Entscheidung getroffen hatte, dann stand er dazu. Er hatte gerettet, was zu retten war, hatte Margaret verheiratet und ihr viel Glück gewünscht. «Hoffentlich weiß er, worauf er sich da einlässt», hatte er über Jeff gesagt, und Arlene konnte bloß die Stirn runzeln, ihre Missbilligung keine Überraschung und mühelos abgeschüttelt. Es stimmte nicht, dass Henry Margaret nicht gemocht hatte. Er hatte es bloß satt gehabt, dass sie sich wie ein Kind benahm, hatte sich gewünscht, sie würde endlich erwachsen werden, damit er sich um sie keine Sorgen mehr machen und ihr ständig aus der Patsche helfen musste. Er hatte gehofft, durch das Eheleben würde sie zur Ruhe kommen. Arlene sah ihn vor sich, sah, wie er über den Gang der Dinge den Kopf schüttelte, kein bisschen überrascht.
      Das sagte sie Margaret nicht und würde es auch nie tun.
      Sie brauchte eine Zigarette, aber sie hatte gerade erst eine geraucht und wollte nicht, dass alle mitbekamen, wie sie wieder nach draußen ging. Rufus hatte sie nach dem Abendessen schon ausgeführt. Es war idiotisch, dass sie nicht auf der Veranda rauchen konnte, wo doch niemand dort war.
      Leise erhob sie sich von der Bettkante, ging zur Tür, lehnte sich dagegen, um sie behutsam zuzumachen, und verriegelte sie. Sie schlich zum Fenster und schob es langsam hoch, als wollte sie sich aus dem Haus schleichen. Von den Bäumen tropfte der Regen, vom See drang das Klatschen der Wellen herüber. Sie kniete sich hin, die Rippen ans Fensterbrett gedrückt, hielt ihr Gesicht in die kühle Luft, und ein Tropfen fiel auf ihre Stirn. Sie beschirmte die Zigarette, senkte beim Anzünden das Kinn und stieß dann den Rauch aus, der in die Nacht hinaus-trieb. Das Licht aus den Wohnzimmerfenstern lag schwach und lang gezogen auf dem nassen Gras, der Fernseher flackerte wie ein Feuer und warf Schatten.
      Der Blick war vertraut. Im Krieg hatte sie dieses Fenster für Henry geöffnet, der sich nach einem Tanz im Kasino oft noch mit seinen Freunden herumtrieb und in Unannehmlichkeiten geriet. Ihre Eltern hatten ihm gesagt, wann er zu Hause sein sollte, schliefen dann aber schon, und Henry tauchte um zwei Uhr nachts auf, roch nach Bier, und sie musste ihm zum Fenster hereinhelfen. Das war nie einfach, denn er war groß und lachte oft über seine ungewohnte Schwerfälligkeit. In manchen Nächten drängte er sie rauszukommen - Komm schon, Ar, sei kein Spielverderber -, und dann gab sie nach, zog ihr Sweat-shirt an, schlich über den Rasen, und sie paddelten zu zweit in die Ehrfurcht gebietende Stille, die im Wasser gespiegelten Sterne.
      Jetzt verspürte sie den Drang, sich hinauszuschleichen, durchs Fenster zu klettern und vorn wieder hereinzukommen, bloß um zu sehen, ob es jemand merkte - vielleicht Margaret, die wieder in dem großen Sessel saß und ihr Gespräch noch einmal durchging. Arlene wünschte, sie könnte ihr erklären, dass ihr Vater nicht immer so gewesen war, dass auch er seine wilden Jahre gehabt hatte. Sie waren alle mal jung gewesen und hatten Fehler gemacht. Margaret sollte ihm keine Vorwürfe machen, weil er sich nicht mehr daran erinnern konnte.
      Ich sollte es tun, dachte sie, mich aufs Fensterbrett setzen, die Beine rausschwingen, mich drehen und mit dem Kopf unter dem Fenster durchtauchen. Dann würde ich wie ein Einbrecher ums Haus schleichen, auf Zehenspitzen durch die Verandatür gehen, zum Fenster hineinschauen und den Kindern einen Schrecken einjagen.
      Albern. Es war nass draußen, und sie sah im Dunkeln nicht gut, das war schon immer so.
      Sie rauchte ihre Zigarette zu Ende, hielt sie dann zum Fenster raus, damit der Regen sie löschte, und als das nicht klappte, spuckte sie auf den Stummel. Sie warf ihn auf den Rasen, stemmte sich hoch, schloss ganz leise das Fenster und verriegelte es als könnte man sie ertappen, aber als sie fertig war, das Zimmer erdrückend hell, hatte sie nicht das Gefühl, einer Sache entkommen zu sein. Nein, dachte sie, ganz im Gegenteil.
     
     
* 22
     
    1952. Sie erinnerte sich wieder an den Tag und die Streichholzbriefe mit dem aufgeprägten Datum, an ihr Kleid, die Torte, die sich zur Seite neigte, weil sie unten nicht fest genug war, erinnerte sich, wie sie von dem feucht-fröhlichen Empfang wegfuhren, im Packard ihres Onkels Carl, wo sie endlich allein waren und sich beide mit

Weitere Kostenlose Bücher