Abschied von Chautauqua
Emily konnte sich noch erinnern, dass die Werbespots in den letzten Wochen ständig gelaufen waren, der bizarre Stereoton mehrerer Fernseher auf Henrys Station auf denselben Sender eingestellt, sodass ihr der Lärm folgte, während sie den Flur entlangging und auf den Aufzug wartete. Das hieß, dass sie nur in der Cafeteria Ruhe gefunden hatte, wo sie sich in den hintersten Winkel setzte und direkt vom Tablett aß, wo die Worte in der Zeitung durch ihr Gehirn liefen wie die Lochstreifen eines Telegraphen, wie sinnloser Zahlensalat.
Als sie die Wasserfälle zum ersten Mal gesehen hatten, war es sonnig gewesen. Die Gischt hatte den ständigen Regenbogen entstehen lassen, als sollten sie gesegnet werden. Sie hatte gestaunt, obwohl sie das naturwissenschaftliche Phänomen genauso gut kannte wie er - der Sprühregen ein Prisma, das das Licht in sein sichtbares Farbspektrum zerlegt. Wie wenig doch nötig war.
Henry hatte etwas sagen wollen, ihre Liebe damit vergleichen wollen, doch sie hatte ihn geküsst und ihre Lippen auf seine gedrückt, bis sie ihn mit dem Finger zum Schweigen bringen konnte. Er hatte gewusst, dass er den Augenblick nicht zerstören durfte, und sie hatten in Kanada gestanden, verheiratet, mit genug Geld ausgestattet, wohl wissend, dass am Ende des Tages das Motel auf sie wartete.
Die Kinder juchzten und kicherten, und Sam deutete auf einen Spielzeugastronauten, der mit weit aufgerissenen Augen durch die Luft flog, auf ein offenes Fenster zu. Die Handlung näherte sich quietschend ihrem ungestümen Finale, an dem aus irgendeinem Grund ein Hund beteiligt war.
Sie blickte heimlich auf ihre Armbanduhr und hob die Decke. Es war schon spät, sie war zu müde, um sich noch die Nachrichten anzusehen, und in Wahrheit hatte sie kaum Hoffnung, dass das Mädchen noch am Leben war, nicht nach drei Tagen. Kenneth konnte ihr morgen alle Neuigkeiten berichten. Sie wollte bloß wissen, wie morgen das Wetter sein würde.
Zusammen mit ihren braun verfärbten Zeugnisblättern und den gezackten Milchzähnen bewahrte sie in ihrer Frisierkommode noch immer einen Streichholzbrief aus dem Bridal Veil Motel auf, der Pappdeckel eingerissen und verfärbt, die Streichholzköpfe zerkrümelt wie eine Rolle von Henrys Tums, die sie in den Trockner gesteckt hatte. Ihr geliebter Waschlappen war irgendwie verloren gegangen, beim Frühjahrsputz oder einem Umzug, als Lappen in Henrys Werkstatt benutzt, vielleicht auch den Kindern ins Sommerlager oder aufs College mitgegeben. Nachlässig von ihr, aber damals hatte sie viel zu tun gehabt. Sie hatte davon geträumt, so wie jetzt dasitzen zu können, ohne eine Arbeit, um die sie sich unbedingt kümmern musste.
Schließlich begann der Nachspann. Kenneth und Margaret ließen die Kinder antreten und sorgten dafür, dass alle ihr einen Gutenachtkuss gaben, bevor sie nach oben gingen. Sam drückte sie zu fest, als wollte er mit ihr einen Ringkampf bestreiten. Die beiden Mädchen waren völlig unterschiedlich und ganz anders als ihre Mütter, Sarah liebevoll, Ella schüchtern und höflich. Und dann waren sie verschwunden, unten war alles leer, und über ihr bummerte die Decke.
Das Bad war frei. Arlene hielt wieder Winterschlaf. Kenneth konnte überall zuschließen. Sie musste das Radio neben ihrem Bett einschalten und versuchen, nicht einzuschlafen. Es dauert nicht lange, dachte sie. Um zehn kommt der Wetterbericht.
* 23
Für Kuchen war es zu spät und für einen weiteren Film erst recht, doch Ken war noch nicht müde. Er hatte den ganzen Tag kaum was getan - der Gemischtwarenladen und das Kasino, aber er hatte heimlich die Fotos gemacht, vielleicht eine Stunde Arbeit. Was er sonst noch angefangen hatte, wusste er nicht genau. Morgen würde ebenfalls ein verlorener Tag sein. Er würde für seine Mutter einen Film vor den Wasserfällen verknipsen und ein paar Bilder von den Kindern, von Lise machen. Alles andere musste er am Donnerstag und Freitag nachholen und hatte Angst, dass ihm die Zeit und das Licht ausgehen würden. Er war noch nicht überzeugt, dass die Bilder etwas geworden waren, die Holga war manchmal lichtdurchlässig. Er hatte schon eine ganze Rolle Klebeband verbraucht, um die Ritzen abzudichten.
Meg kam als Erste runter und sah nach der Geschirrspülmaschine. Die musste nochmal durchlaufen. Ohne den Fernseher klang die Maschine lauter, erfüllte die schummrige Küche hinter ihr.
«Wie geht's ihm?», fragte Ken.
«Er ist
Weitere Kostenlose Bücher