Abschied von Chautauqua
seine Schuld.
* 21
«Wie geht's ihm?», fragte Arlene und blieb im Dunkeln stehen.
Margaret fand ein Plätzchen neben Henrys Werkbank, zündete ihre Zigarette an, die abgeschirmte Flamme ließ ihr Gesicht leuchten wie den Mond und dann wieder verschwinden.
«Immer noch bedrückt.»
«Er tut mir Leid.»
«Er kommt drüber weg», sagte sie sanft, als wäre das an sich schon traurig.
Sie gab ihr das Feuerzeug zurück, das Arlene mit beiden Händen nehmen musste. Als Margaret an der Zigarette zog, erglühte ihr Gesicht in einem zarten Orange. Der Regen trommelte hartnäckig über ihren Köpfen. Morgen würden sie zu den Wasserfällen fahren.
Margaret berührte einen Pappkarton auf der Werkbank, eine verhedderte Rolle Bindfaden. «Die Garage ist eine richtige Feuerfalle.»
«Normalerweise war er so ordentlich wie unser Vater. Da sieht man mal, wie sich alles anhäuft.»
Arlene erinnerte sich an das letzte Mal, als Henry hier war, vor zwei Jahren. Er hatte keinen Hammer angerührt und seine Energie aufgespart, um mit den Kindern zu spielen. Seine Haut hatte ganz schlaff am Hals gehangen, und Arlene hatte gewusst, dass etwas nicht stimmte, doch erst im Herbst, bevor er ins Krankenhaus kam, hatte er es ihr gesagt. Er hatte den Sommer auf dem Steg verbracht oder ein Nickerchen gemacht, hatte den grauen Pullover getragen, den Emily ihm vor zwanzig Jahren gestrickt hatte, und der hatte an den Ärmelaufschlägen Fäden gezogen, die in den Dip hingen. Mitten in der Woche war Emily damit extra zum Waschsalon gefahren. Als sie zurückgekommen war hatte er ihn im Sitzen angezogen, und Emily hatte ihm geholfen, die Armlöcher zu finden.
«Ich weiß noch, dass er immer alles beschriftet hat», sagte Margaret. «Jede Schraube hatte ihr Plätzchen. Und es wurde immer alles abgewischt, für den Fall, dass er was reparieren musste. Er hat sich hier versteckt, wenn er vor uns Ruhe haben wollte. Ich glaube, er hat hier nicht gearbeitet, er hat bloß aufgeräumt.»
«Er hat immer irgendwas gearbeitet», widersprach Arlene, teils zu seiner Verteidigung, teils, weil es stimmte.
«Ich weiß nicht, je mehr ich an ihn denke, umso weniger weiß ich noch. Ich kann mich nicht erinnern, dass er was mit uns unternommen hat, es war immer Mom. Ich glaube, sie hat es ihm leicht gemacht, sich rauszuhalten.»
«So lief das damals.»
«Das glaub ich nicht. Ich hatte Freundinnen, deren Väter mit ihnen geredet haben. Es waren die Sechziger, da war's nicht mehr wie bei Vater ist der Beste.»
«Tja, wir stammen aus dieser Zeit», sagte Arlene. «Das darfst du nicht vergessen. Im Rückblick sehe ich, was meine Eltern hätten besser machen können, aber das nützt doch nichts.»
«Ich mache mir eher Sorgen wegen jetzt. Um Justin und Sarah. Ich weiß, dass alles, was ich durchmache, auch sie betrifft.»
Es geht also gar nicht um Henry, dachte Arlene. Die beiden rauchten im Dunkeln, die Luft ringsum voller Rauchwölkchen. Eins ihrer Geheimnisse als Lehrerin war, manchmal den Mund zu halten, damit der Schüler sich selbst etwas beibrachte. Im Lauf der Jahre hatte sie das Talent entwickelt, solche Situationen zu erkennen, und auch jetzt zählte sie stumm - sechs, sieben -und wartete auf das Unvermeidliche.
«Aber ich bin stolz auf sie», fuhr Margaret fort, als hätte sie das Ganze gründlich durchdacht. «Und ich sage es ihnen. Vielleicht bin ich eine furchtbar schlechte Mutter - stimmt schon ich weiß, dass ich Probleme hab -, aber ich sage ihnen, was ich von ihnen halte. Ich weiß, dass Dad stolz auf mich war, und ich weiß auch, dass er mich als Mensch nicht leiden konnte ...»
«Er hat dich sehr geliebt.»
«Ich weiß, aber er mochte mich nicht besonders. Bestimmt hat er sich gewünscht, er hätte eine andere Tochter.»
«Das stimmt nicht», sagte Arlene, doch das folgende Schweigen verwandelte ihre Worte in eine Lüge. Sie hatte ihre Zigarette zu Ende geraucht und stand hilflos da.
«Ich sag ja nicht, dass er ein schrecklicher Mensch war oder dass ich fürs Leben gezeichnet bin oder so was, aber ich finde nicht, dass wir so tun sollten, als wäre alles perfekt gewesen, wie Mom es tut.» Auf der Arbeitsplatte entdeckte sie eine Dose und drückte ihren Zigarettenstummel darin aus.
«Ich glaube nicht, dass irgendjemand das tut.»
«Vielleicht hat sie es wirklich so in Erinnerung. Vielleicht muss das so sein. Vielleicht hab ich es
Weitere Kostenlose Bücher