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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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schweigend in der Küche gewirtschaftet - wie jetzt, wo nur das Klirren des Geschirrs ihr Gesellschaft leistete.
      Ihr gefiel diese nächtliche Stunde, ihr gefiel es, als Letzte noch auf zu sein, außer Reichweite all derer, die sie enttäuscht hatte, als wäre die Welt wieder neu und in ihrem Herzen alles möglich. Wenn es eine klare Nacht wäre, würde sie raus auf den Steg gehen und die Sterne betrachten, sich vielleicht im Mantel ihrer Mutter auf die Veranda setzen und dem Zirpen der Heuschrecken lauschen, niemand, der die schweifenden Gedanken störte, die ihr durch den Kopf schossen, sich vereinigten und dann wieder zurückkehrten. Zu Jeff und der Wohnung, in der sie in San Francisco gelebt hatte, zu dem nächtlichen Himmel dort, den Leuten, die um drei Uhr nachts durch die Straßen schlichen, dem Tag, als sie ohne ersichtlichen Grund einen Backstein in die Fensterscheibe eines geparkten Autos geworfen hatte, bloß weil sie betrunken war. Und dann die Reha, die verbeulten Stahlspiegel im Bad, wie ihr Gesicht anscheinend schwoll und schrumpfte wie ein Ballon und sie gedacht hatte, sie würde es nicht überleben, sie würde den Hartplastikbecher für ihre Zahnbürste zertrümmern und man würde sie verblutet in einer verriegelten Toilette finden.
      Aber sie hatte es geschafft, hier stand sie, der verfluchte lebende Beweis. Sie musste lachen, und die einfachsten Bewegungen - die Hand nach oben strecken und die Schälchen ineinander stellen - kamen ihr gewichtig und bemerkenswert vor. Ihr war auch nicht mehr alles egal, sie übernahm Verantwortung, doch dann fiel ihr wieder ein, wie sie bei den Kindern und bei Jeff alles vermasselt hatte, dass es nicht allein seine Schuld war, ihr fielen die Männer ein, mit denen sie sich eingelassen hatte, und der Autounfall, die Krümel des Sicherheitsglases unter ihren bestrumpften Füßen, der Polizist, der sie halb in den Streifenwagen hob, und die Verteidigung, an die sie sich klammerte, nämlich dass sie ausnahmsweise nicht betrunken gewesen war, was ihr später völlig unwichtig vorkam, eine einfache Ausrede, und das führte wieder zur Reha zurück, als wäre sie wegen ihres ganzen Lebens dort hingeraten, wie eine Mörderin, die von Geburt an dazu bestimmt war, im Gefängnis zu landen.
      Sie war keiner dieser zur Religion bekehrten Alkoholiker, die alles als Schicksal betrachteten, in dem dünnen Kaffee, den es auf ihren Treffen gab, das Antlitz Gottes sahen. Sie war kein Musterbeispiel für Nüchternheit. Aber sie war hier, und schon das war erstaunlich. Manchmal fragte sie sich, wo sie die ganzen Jahre gewesen war.
      Sie räumte das oberste Fach mit den Gläsern leer und stellte ein paar neue aus dem Spülbecken hinein. Als sie das feuchte Geschirrtuch über den Griff des Backofens hängte, sah sie die albernen Salz- und Pfefferstreuer, die ihre Mutter auf dem Flohmarkt gekauft hatte, die wie Kellner gekleideten rosa Schweine. Sie nahm sie, in jede Hand eins, und betrachtete ihre glücklichen Gesichter, ihre schwarzen Westen, die Handtücher, die über ihren Armen hingen. Sie schienen sich zu beeilen, um eine Bestellung auszuführen, aber schneidig, mit rosigen Wangen.
      Sie versuchte, sich einen Morgen vor dreißig Jahren ins Gedächtnis zu rufen, vielleicht im Winter, denn sie sah vor sich, dass auf den Birnbaum der Mitchells auf der anderen Seite der Einfahrt Schnee fiel. Ihr Vater trug ein gebügeltes Hemd, die Krawatte über die Schulter geworfen, damit er sie nicht bekleckerte, und Orangensaft, immer trank er ein Glas. Er aß als Erster, weil er den Bus kriegen musste, und saß jeden Morgen auf demselben Stuhl, mit dem Rücken zum Kühlschrank. Wenn er weg war, setzten sie, Ken und ihre Mutter sich zusammen hin und aßen ihre Eier oder ihren Haferschleim. Die Salz- und Pfefferstreuer standen immer auf dem Tisch, aber sie konnte sie nirgends sehen. Da waren Teller, doch Meg hatte keine Ahnung, wie sie aussahen, als wäre die Erinnerung aus ihrem Gehirn gelöscht worden. Gläser, Besteck, der Tisch - nichts. Sie konnte sich bloß noch erinnern, dass ihr Vater allein dasaß und beim Essen den Wirtschaftsteil las und dass sie sich später ohne ihn hinsetzten.
      Sie wollte gerade die Streuer wieder hinstellen - fremdartig jetzt, wie aus einem Traum -, da sah sie auf der Herdplatte einen Fettfilm. Sie befeuchtete einen Schwamm und bespritzte ihn mit Spülmittel, wischte zwischen den Herdplatten und stellte dann die Streuer an ihren Platz

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