Abschied von Chautauqua
holpernd übers Gras.
«Hey», sagte sein Vater, «hast du Sarahs Taschenuhr irgendwo gesehen?»
«Nein», erwiderte er unwillkürlich.
Er versuchte sich daran zu erinnern, wo sie war. Vielleicht in der Tasche der Shorts, die er gestern angehabt hatte, irgendwo oben auf dem Fußboden. Seine Mutter würde sie beim Aufräumen entdecken.
«Du weißt ja, wie sie aussieht. Man kann sie an der Gürtelschlaufe befestigen.»
Sam schob die Lippe vor und zuckte mit den Schultern.
«Also, wenn du sie siehst, Sarah sucht sie, okay?»
«Okay», sagte Sam.
«Und wasch dir vorm Essen bitte die Hände.»
Sam lehnte sein Fahrrad an die Kastanie und folgte ihm ins Haus. Seine Mutter stand am Spülbecken, also ging er in das Bad im Erdgeschoss, wo er sich nicht die Mühe machte, das Licht anzuschalten, und benutzte die grüne Flüssigseife. Mit zwei Fingern schob er die Oberlippe zurück, um sich das blutige Loch in seinem Zahnfleisch anzusehen. Oben waren auch irgendwo sein Dollar und das Kleingeld, das er von der Frisierkommode gestohlen hatte.
Sein Vater wusste nichts, sonst wäre er wütend. Er stellte bloß Vermutungen an.
* 13
Die Ameisen im Briefkasten, der kaputte Herd - alles ist gleich eine Krise, dachte Lise.
Dann gab es eben mal keinen Kaffee, na und, draußen waren es locker dreißig Grad. Ken sagte, es liege wahrscheinlich bloß an der Sicherung, er werde sich nach dem Essen drum kümmern, doch Emily war nicht zu beruhigen. Morgen komme die Maklerin (nicht, um sich den Herd anzusehen, hätte Lise am liebsten gesagt, hielt sich aber zurück). Und als das Mittagessen schon fast zu Ende war, ließ Justin sein Stück Wassermelone auf den Boden der Veranda fallen, und Meg schickte Rufus und alle Kinder nach draußen. Lise konnte sehen, dass sie einen schlechten Tag hatte, und empfahl Ella und Sam, ihr aus dem Weg zu gehen.
Weil sich sonst keiner drum kümmerte, spülte sie das Geschirr, es machte ihr nichts aus. Wegen der Pappteller war nicht viel zu tun. Die Jungs jagten sich gegenseitig durch den Garten und bespuckten sich mit Melonenkernen. Hinter ihr schlich Emily um Ken herum, während er das Schaltfeld des Herds nach einem Sicherungskasten absuchte.
«Ich frage mich, ob es etwas mit der Hitze zu tun haben könnte», sagte Emily.
«Vielleicht», sagte Ken.
Lise wusch die Gläser fertig ab und fing mit den Küchenmessern und dem Silberbesteck an, dem leeren Behälter für den Makkaronisalat, den Emily aus unerfindlichen Gründen aufbewahren wollte. Sie schwitzte, ihr Badeanzug eine feuchte zweite Haut unter ihrer abgeschnittenen Jeans. Der See sah blau und kühl aus, und es schien windig zu sein, doch sie wusste, dass die Sonne draußen auf dem Wasser noch viel heißer sein würde.
«So, das wär's», sagte Ken hinter ihr.
«Hast du sie gefunden?», fragte seine Mutter.
Hatte er. Wie eine Pistolenkugel hielt er die Sicherung zwischen Daumen und Zeigefinger, das Glasröhrchen in der Mitte kaffeebraun verbrannt. Lise war immer wieder erstaunt, wie gut er sich in technischen Dingen auskannte. Vielleicht war es seine Art von Wiedergutmachung, sich nützlich zu machen, wenn er schon nicht richtig an ihrem Familienleben teilnahm.
Manchmal fragte sie sich, warum sie bei ihm blieb oder warum er noch immer bei ihr war, wenn er sie so uninteressant fand. Manchmal sagte sie im Spaß zu Carmela, dass sie auf seine Kameras eifersüchtig sei, und obwohl sie beide wussten, dass sie es im Grunde ihres Herzens ernst meinte, rissen sie immer schlüpfrige Witze darüber, was er in der Abgeschiedenheit seiner Dunkelkammer wohl alles trieb. Und sie konnte sehen, woher es kam, es war kein Geheimnis. Wenn sie mit seiner Familie zusammen war, begriff sie, dass er die Selbstversunkenheit nicht nur als Belohnung, sondern auch als Notwendigkeit betrachtete, als ein Versteck. Es war komisch - als sie ihn kennen lernte, hatte er ihr gefallen, weil er still war.
«Ich weiß, dass Dad welche in der Garage hat», sagte Emily.
«Ich weiß nicht, ob er eine in dieser Größe hat», erwiderte Ken, ging zielstrebig los, um nachzusehen, die Fliegentür flog pfeifend auf und wurde dann durch den Türschließer langsam zugedrückt. Lise wischte die Arbeitsplatten ab, Emily trat beiseite und bedankte sich geistesabwesend.
«Nein», sagte Ken bei seiner Rückkehr. «Ich muss in die Eisenwarenhandlung in Mayville.»
«Würde es dir etwas
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