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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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bloß bunt. Sie hielt eins in der Hand und sah nach, wo es passen könnte.
      Ihr fiel nichts ein, was sie getan haben könnte. Sie hatte sich so bemüht, sich zurückzuhalten, sich damit abzufinden, dass es nie passieren würde, aber sobald ihr das gelungen war (kinderleicht, weil es stimmte und für sie sicherer war, aber zugleich unmöglich, weil sie nicht aufgeben konnte), begann sie wieder, von Sarah zu träumen, von ihren schmalen Armen, ihren knubbeligen Handgelenken und ihren langen Fingern, und alles fing ohne ersichtlichen Grund wieder ganz von vorn an. Es war, als würde sie nicht auf sich hören, und dann fühlte sie sich noch hilfloser, wie eine unbeteiligte Zuschauerin, wütend auf ihre eigene Hoffnung.
      Sie ließ das Puzzleteil fallen. Es landete mit der Rückseite nach oben, als wäre es ein Fleck auf dem Bild. Königliche Leibgardisten bewachten den leeren Hof, die Reihen blinder Fenster. Der Himmel über dem Palast war noch nicht fertig, die Maserung des Tisches eine mattbraune Wolke.
      Ihre Mutter kam mit wippenden Brüsten im Badeanzug von der Veranda herein. «Ich nehme die Bestellungen fürs Mittagessen auf. Wir essen Sandwiches.»
      Das sagte sie streng, wie eine letzte Warnung, weil sie wusste, dass Ella Sandwiches nicht ausstehen konnte. Es war Ella egal. Sie konnte das Truthahnfleisch essen und das Brot übrig lassen. Das würde niemand kontrollieren.
      «Was ist mit deiner Cousine, weißt du, was ihr schmecken könnte?»
      Was war sie doch für eine taube Nuss, denn sie wusste es tatsächlich. Salami mit Provolone und Salat, dazu ein Klecks Mayonnaise, auf Weizenbrot, diagonal durchgeschnitten. Makkaronisalat, und nicht das matschige Kartoffelzeug. Ella wusste, dass Sarah Kartoffelchips mit Salz-und-Essig-Geschmack lieber aß als die mit Saure-Sahne-und-Zwiebel-Geschmack und dass sie die Knoblauch-Dill-Pickles mochte und nicht die süß eingelegten Gurkenscheiben, die Sam gern aß. Und Diät-7-UP, nichts mit Koffein.
      Es war genau wie in der Schule. Sie wusste alles Unwichtige, alles, was nicht zählte.
      «Vielleicht kannst du es ihr raufbringen », schlug ihre Mutter vor. «Ich glaube, sie ist in Ungnade gefallen.»
      «Was hat sie denn getan?», fragte Ella herausfordernd.
      «Bloß dasselbe wie du. Mach nur so weiter.»
      Sie war froh, dass sie einen offiziellen Vorwand hatte, um zu ihr zu gehen, dass sie was zu tun hatte - irgendwas,  um die Zeit totzuschlagen, damit sie nicht völlig verzweifelt aussah. Sie machte für beide einen Teller zurecht, stellte die Sandwiches sorgfältig zusammen und ordnete die Chips und den Makkaronisalat zwischen den Brothälften an, die Pickles an der Seite, damit das Brot nicht vom Saft matschig wurde.
      «Das ist sehr nett von dir», sagte ihre Mutter.
      «Ist doch bloß Mittagessen», murmelte Ella und holte Gabeln.
      «Kannst du beide Teller tragen?»
      Bei dem Gedanken, dass ihre Mutter mitkommen würde, sagte Ella, sie könnte alles tragen. Sie müsste bloß nochmal wiederkommen und ihre Getränke holen.
      «Vergiss die Servietten nicht», mahnte ihre Mutter.
      Die erste Prüfung war die Tür zur Treppe, die sie mit dem Ellbogen aufstieß. Sie stellte einen Teller auf die Stufe, schloss die Tür hinter sich, damit sie ungestört waren, und stieg dann langsam die Treppe rauf, beide Hände waagerecht nach vorn gestreckt. Wie blöd würde sie dastehen, wenn sie die Teller fallen ließ, der ganze Teppichboden voller Makkaronisalat. Während sie nach oben ging, wurde die Luft stickiger, da war der warme, muffige Geruch von Staub, Putz, Fledermauskot und den Teerschindeln auf dem Dach. Sarah hatte nicht mal den Ventilator an, und Ella dachte, dass sie echt sauer sein musste. Ella würde nicht lächeln, sie würde einfach still sein und Sarah reden lassen, wenn sie wollte. Ella würde sich wie eine Freundin verhalten und Sarahs Gefühle teilen - und sie würde wissen, was los war, wie bei ihr und Caitlin zu Hause, ihre Stimmungen im Einklang wie bei zwei Schwestern.
      Sie erwartete, dass Sarah auf ihrem Schlafsack sitzen und lesen oder Patience spielen würde, doch als sie oben an der Treppe war, sah sie, dass Sarah die rot-weiß-blaue Frisierkommode durchsuchte, dass sie die sauberen Sachen obendrauf stapelte, sie dann wieder in die Schublade räumte und mit der nächsten weitermachte. Jedes Mal, wenn Ella sie sah, war sie überrascht über Sarahs Körper, beeindruckt von etwas Neuem.
      «Was

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