Abschied von Chautauqua
sie langsam genug. An manchen Tagen sprach sie bloß mit Emily, am Telefon. Die Post fand sie enttäuschend, nichts als uninteressante Reklame, Kreditkartenangebote, bei denen ihr Name falsch geschrieben war. Sie las die Post-Gazette und sah sich die Lokalnachrichten an, nahm, wie ihre Mutter, Anteil am öffentlichen Leben der Stadt und verfolgte die Intrigen in der Geschäftswelt und der Stadtverwaltung, als wäre sie selbst davon betroffen. Sie wurde - wiederum wie ihre Mutter - ein begeisterter Baseballfan und hörte sich beim Saubermachen die Spiele der Pirates im Küchenradio an. Sie wusste, dass die Steelers einen neuen Quarterback brauchten, und wenn sie mit der Kassiererin im Giant Eagle darüber sprach, wie sie einen auftreiben sollten, war das eine angenehme Abwechslung zur Monotonie ihrer eigenen Gedanken. So war das. Es war immer das Einzige gewesen, worauf sie zählen konnte. Sie kam schon seit über sechzig Jahren her.
Beim ersten Mal war die ganze Familie mit einer scheppernden Straßenbahn am Ufer entlanggefahren, und Jungs und Hunde waren hinterhergelaufen. Henry hatte senfgelbe Knickerbocker und eine kurze, breite Krawatte getragen, sein Haar gefurcht und voller Pomade. Ihr Sonntagskleid war aus Leinen gewesen, der Wind vom See herrlich. Alle Mädchen hatten weiße Handschuhe angehabt.
Jetzt folgten sie den Autos vor ihnen über den geschotterten Parkplatz - ein Morgen Land voll funkelnder Windschutzscheiben _ und einen staubigen Pfad hinauf, holperten über eine Wiese, auf der wie bei einer Fahrprüfung Pylonen aufgestellt waren.
«Sieh mal, wo wir sind», sagte Emily, doch Arlene versuchte, auf den Jugendlichen in der Institutsuniform aus weißem Hemd und schwarzer Hose zu achten, der sie auf ihren Platz winkte. Erst als sie die Schaltung mühsam auf Parken gestellt hatte, sah sie, dass sie sich direkt hinter dem Putt-Putt befanden.
Auf dem Weg zum Tor blieben sie stehen, um sich alles anzusehen. Nicht mal der Beton blieb liegen, die Platten wurden ausgegraben und zertrümmert, und unter den Kiefern lagen Brocken davon herum. In einer Ecke hing noch eine orange-weiße Tonne von der Größe eines Weinfasses, der innere Ring voller Kiefernnadeln, mittendrin eine leere Getränkedose.
«Das wär mal ein Bild», sagte Emily.
«Er war geknickt, weil ihm niemand was gesagt hat.»
«Das hab ich völlig vergessen. Hast du dran gedacht?» Dann ging sie weiter, und Arlene folgte ihr.
«Er ist erwachsen», sagte Emily, als sie auf Höhe der Übungs-hütten waren, und Arlene fand, dass sie enttäuscht klang. Das war nichts Neues. Als Henry noch lebte, hatte er oft mit ihr über Kenneth gesprochen - über seinen mangelnden Ehrgeiz, seine Probleme, an einem Job festzuhalten. Nach dem ganzen Kummer mit Margaret hatten sie ihre Hoffnungen auf ihn gesetzt, nur um enttäuscht zu werden. Henry hatte sich im Stillen Sorgen gemacht, dass Ken zu schwach war und jeden Rückschlag persönlich nahm, dass er Lisa seine Entscheidungen treffen ließ. Im Lauf der Jahre hatte Arlene unzählige überempfindliche Jungs wie ihn erlebt, und sie war überzeugt, dass deren verzweifeltes Bemühen, es anderen recht zu machen, nicht an mangelndem Selbstvertrauen lag, sondern an dem starken Wunsch ihrer Eltern, dass sie erfolgreich waren. Sie waren gut bei Klassenarbeiten oder im Befolgen von Anweisungen, doch wenn sie sich selbst überlassen waren, wussten sie nicht mehr weiter. Sie gehörten zu der kleinen Gruppe von Schülern, die Arlene Leid taten, weil sie sah, dass das Leben sie unfreundlich behandeln würde und sie nie ganz begreifen würden, warum - einer Gruppe, die Arlene leicht erkannte, da sie selbst ihr nur knapp entronnen war, und das auch nur, weil sie ihre Lebensaufgabe gefunden hatte.
«Ist er immer noch bei Merck?», fragte sie.
«Ach, Arlene, im Moment weiß ich nicht mal, womit er sein Geld verdient. Was hältst du davon?»
«Ich finde, es ist ziemlich klar, was du davon hältst.»
«Als seine Mutter hab ich doch Anspruch auf eine Erklärung, oder?»
Arlene pflichtete ihr bei. «Aber er hat offenbar das Gefühl, dass er es dir aus irgendeinem Grund nicht sagen kann.»
«Ich weiß nicht, warum. Ich habe ihn immer unterstützt, selbst als er die tolle Idee hatte, wieder zu studieren.»
«Vielleicht sieht er das anders.»
«Dann hätte er eben Unrecht», sagte Emily. Sie befanden sich jetzt in einer Menschenmenge, die sich den Highway
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