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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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lassen. Zu Hause würde sie die Klimaanlage laufen lassen und diese Maisfelder, die sich wie ein Zaun neben der Straße erhoben, oder das Cabrio fahrende Mädchen mit dem Pferdeschwanz, das aus der Telefonzelle vor dem Wagon Wheel einen Anruf machte, nicht sehen. Obwohl diese wahllosen Szenen nichts mit Arlene zu tun hatten, gefielen sie ihr, und sie dachte, dass es keinen Sinn ergab. Sie fühlte sich dem Leben näher, wenn sie ihrem eigenen entfloh. Deshalb verreisen die Leute, dachte sie, aber die sehnen sich nach Erhabenheit, Naturwundern und malerischen Landschaften. Sie war schon glücklich, wenn sie andere Leute beobachten konnte. Auf dem Golfplatz zog sich eine Vierergruppe von einem Grün zurück, der letzte Mann warf seinen Ball in die Luft, fing ihn wieder auf, und Arlene war für den Moment zufrieden.
      «Das Haus wird mir fehlen», sagte sie.
      «Mir auch», stimmte Emily zu.
      «Meinst du, wir könnten nächstes Jahr etwas mieten?»
      «Vielleicht. Ich weiß, dass ich nicht den ganzen Sommer in der Stadt bleiben kann.»
      «Wir könnten im Institut wohnen», schlug Arlene vor. Das wollte sie schon seit ihrer Kindheit, entzückt vom prächtigen Mansardendach des Athenaeum, den rosagrünen Sommerhäusern mit ihren prunkvollen Dachtraufen und Schuppenschindeln, dem gepflegten Rasen und den strahlend schönen Gärten. Eine ihrer frühesten Erinnerungen war, wie ihre Mutter ihr die Hand geführt hatte, als sie einen Penny in den Brunnen im Foyer des Hotels warf.
      «Stell dir vor», sagte Emily. «Wir würden gut zu all den anderen alten Tantchen passen. Ich sehe schon vor mir, wie wir nach dem Abendessen zum Amphitheater eilen, um zu hören, wie uns ein Professor von der State University in Buffalo über Gott und Gemeinwohl aufklärt.»
      «Oder in die Oper», erwiderte Arlene. «Oder in eine Symphonie. Oder ins Theater.»
      «Und was ist mit den Kindern? Wir würden kein Haus bekommen, das groß genug ist - falls wir überhaupt eins bekommen. Ich weiß, dass Don und Martha Shepherd versucht haben, ein Haus zu kaufen, und man hat ihnen gesagt, es gebe keins, das muss schon fünf Jahre her sein. Inzwischen ist es bestimmt noch schlimmer.»
      «Das müssten wir überprüfen.»
      «Dafür ist jetzt nicht die richtige Zeit.»
      «Ich rufe morgen Mrs. Klinginsmith an und höre mal, was sie dazu meint», sagte Arlene.
      Sie hatte Emily nie gesagt, dass sie als ihre Schwägerin nicht befugt war, das Sommerhaus zu verkaufen, weil es von Rechts wegen noch immer den Maxwells gehörte, von denen Arlene das älteste Familienmitglied war, doch sie hegte den Verdacht, dass Emily wusste, wie ihr zumute war. Nicht dass Emily je nach Arlenes Meinung gefragt oder sich für ihre Entscheidung entschuldigt hätte. Das war nicht Emilys Art. Genauso wenig machte Arlene ihren Anspruch geltend, sondern fand sich einfach mit Henrys Entscheidung ab, egal, wie unbesonnen sie war.
      Am Haupttor herrschte jede Menge Betrieb, und ein Verkehrslotse in weißen Handschuhen sicherte den Fußgängerüberweg, während eine Schar alter Frauen an ihm vorbei zu den Drehkreuzen tappte. Sie waren als Gruppe unterwegs und schienen gleich gekleidet zu sein, alle mit schlaffen Sommerhüten und Sonnenbrillen im Lilaton von Quallen, in geblümten Blusen, pastellfarbenen Polyesterhosen und Schuhen, wie Krankenschwestern sie trugen. Wahrscheinlich eine Gruppe aus einem örtlichen Seniorenzentrum, längst überfällig für eine Dosis Frischluft und Kultur. Arlene fand, dass sie und Emily sich nicht groß von ihnen unterschieden, beide kamen aus Gewohnheit und weil der Eintritt frei war.
      Zu Hause wäre sie inzwischen vom Aufräumen nach dem Kaffee in der Kirche zurück und hätte die Times bis zur Hälfte gelesen, würde sich das Rätsel bis zuletzt aufheben und sich mit einem Akrostichon abmühen, das ihre Mutter im Handumdrehen gelöst hätte. An einem Tag wie diesem würde sie die Wohnung abschließen und in den Park gehen, wo Paare Tennis spielten und junge Mütter ihre kleinen Kinder auf dem Spielplatz bewachten. Sie würde sich eine Bank im Schatten suchen und lesen, würde aufblicken, wenn ein Krankenwagen mit heulender Sirene vorbeifuhr oder bei dem Baseballspiel der Kinder irgendetwas passierte, froh, das reglose Zentrum von so viel Bewegung zu sein. Zurück in ihrer Wohnung schwand die Illusion, und wenn das Wetter schlecht war, konnte sie nirgends hingehen. Vom Frick Museum und der Scaife Gallery hatte

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