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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Hände», forderte ihre Mutter sie auf.
      Drinnen war es dunkel, weil überall das Licht ausgeschaltet war. Ella ging zum Spülbecken und Sarah ins Bad. Sie knipste das Licht an, schloss die Tür, drehte das warme Wasser auf und ließ es laufen. Eine Weile stand sie vor dem Spiegel und seifte sich die Hände ein, froh, endlich allein zu sein. Sie legte die Seife in den Seifenhalter zurück und hielt die Hände unter den Wasserhahn, und da wurde ihr klar, dass sie Ella belogen hatte.
      Ella, ihre Mutter, ihr Vater, Mark - alles schwand dahin, wenn sie an ihn dachte. Da waren nur der See und sie beide, sein Haus, der dunkle Rasen und der Sonnenuntergang, der den Himmel färbte. Wenn alle wegfuhren, würden sie immer noch hier sein.
      Sie trocknete sich die Hände ab, öffnete die Tür und schaltete das Licht aus. Ella war schon draußen, und Sarah setzte sich auf den Stuhl neben ihr, dessen Plastikpolster sich mit einem Zischen zusammendrückte. Die rote Paprika, in die sie hineinbiss, war saftig, der Dip scharf. Sie hatte nicht gewusst, dass sie so hungrig war.
      «Wie war euer Spaziergang?», fragte Grandma.
      Ella blickte sie an, als hätten sie ein Geheimnis. Sarah schaute herausfordernd zurück - los, erzähl's ruhig - und nahm sich einen Möhrenstift.
      «Gut», sagte Ella. «Rufus hat ein Häufchen gemacht.»
     
     
* 12
     
    «Sieht das alles nicht wunderbar aus?», sagte seine Mutter in der Küche - zu niemand Bestimmtem, zu allen.
      Im Wohnzimmer, allein mit Ken, äffte Lise sie nach, warf die Hand übertrieben in die Luft und klimperte mit den Wimpern wie ein Stummfilmstar. Sie hatte bloß ein halbes Bier getrunken, und Ken dachte, dass er auf sie aufpassen musste.
      «Und Krautsalat!», sagte seine Mutter gerade zu Sam und Justin. «Und Tomatenscheiben - du liebe Zeit. Ich glaube, ich hab von allem ein bisschen, wie hört sich das an?»
      Lise mimte Überraschung und schüttelte den Kopf, bis Ken sie in die Arme nahm und ihre Pantomime beendete.
      «Aber sie ist so witzig», flüsterte Lise.
      «Hör auf.»
      Seine Mutter kam mit ihrem Teller ins Zimmer, warf ihnen einen sonderbaren Blick zu, als wäre es seltsam, dass sie sich umarmten, und ging dann auf die Veranda. Lise tat so, als würde sie Ken erdrosseln, fasste ihn am Hals und schüttelte ihn, ihre Flasche kühl an seiner Haut.
      «Danke, das reicht jetzt», sagte er und befreite sich aus ihrem Griff.
      In der feuchten Küchenluft kontrollierte Meg den Mais. Sam füllte seinen Teller, machte dabei einen großen Bogen um jegliches Gemüse, nahm sich bloß Hähnchen und Käsebrot. Justin war so tapfer, einen Löffel voll Krautsalat zu nehmen. Ella und Sarah warteten und schüttelten ihre Papptellerhalter wie Tambourine. Ken schob einen Pappteller in einen Halter, gab ihn Lise und holte sich auch einen. Lise tätschelte seinen Arm, deutete mit dem Kopf zur Hintertür. Draußen stand Arlene allein unter der Kastanie, rauchte und beobachtete die Kaninchen auf der anderen Straßenseite, während das flach einfallende rosa Licht über die Baumstämme glitt. Sie ließ den Zigarettenstummel fallen, trat ihn aus, blieb aber dort stehen, verschränkte die Arme und beobachtete weiter.
      «Ganz schön unheimlich», sagte Lise.
      «Du beobachtest wohl nie Kaninchen», sagte er herausfordernd.
      Er verriet nicht, dass er am vorigen Tag dasselbe getan hatte. Sie bildete sich ein, dass seine ganze Familie verrückt war, die Abstammungslinie krank wie in einem miesen alten Poe-Film, und er war der Normalste von allen. Es sollte ein Witz sein, doch nachdem er sich jahrelang mit ihnen hatte abgeben müssen, war er inzwischen kurz davor, selbst dran zu glauben. Er war überzeugt, dass es für den strengen Optimismus seiner Mutter und die Unnahbarkeit seiner Tante irgendwo in ihrer Familiengeschichte Gründe gab, doch oft musste er sich eingestehen, dass die beiden nur überspannte alte Frauen waren. Dass er fast daran glaubte - obwohl er es besser wusste -, bewies, dass Lise es tatsächlich tat und der Witz durchschaubar war.
      Lise trank ihr Bier aus, holte sich noch eins aus der Garage, und Arlene merkte, wie sie vorbeiging.
      «Dad?», fragte Ella.
      «Was denn, Liebes?»
      «Gehen wir noch Minigolf spielen?»
      «Ich glaube nicht. Es ist schon spät.»
      «Okay», sagte sie so freundlich, dass erjetzt doch am liebsten mit ihnen hingefahren wäre.
      «Vielleicht morgen.»
      «Ich glaub, es

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