Abschied von der Küchenpsychologie
mit einer realen Erfahrung zu tun: Zuweilen ist uns einfach danach
zumute
, Gefühle in aggressiver oder heftiger Form auszuagieren. Falls wir diesem Impuls folgen und sich die Stimmung nach einer Weile verbessert – was häufig vorkommt, weil Ärger ohnehin meist verraucht! – wird man sagen: Dieses «Abreagieren» hat mir geholfen. Wer stellt hier schon systematische Vergleiche mit andersartigen Aktivitäten an? Doch ohne solche Vergleiche kann man gar nicht beurteilen, wie gut der eine oder andere Weg ist.
Alternativen zum Umgang mit aggressiven Gefühlen
In den psychologischen Studien wurden die angeblich kathartischen Aktivitäten immer mit
anderen
Aktivitäten verglichen, z.B. mit stillem Warten, mit nicht aggressiven Filmen, mit Rechenaufgaben, mit Selbstreflexion über den Ärger. Und diese «nicht kathartischen» Aktivitäten waren durchweg ebenso wirksam oder sogar wirksamer.
Bei der Frage, was daraus für die Alltagspraxis folgt, sind zwei Ziele zu unterscheiden: Will man lediglich seine ärgerliche Stimmung mildern oder will man darüber hinaus ein zwischenmenschliches Problem lösen, das dem Ärger und der Feindseligkeit zugrunde liegt?
Umgang mit Ärger: einige Möglichkeiten
Angenehme ablenkende Aktivitäten
Körperliche Entspannung
Reflexion über eigene Gefühle, Bewertungen und ihre Anlässe, evtl. im Gespräch mit Vertrauensperson
Aussprache mit Kontrahent: Mitteilen eigener Gefühle, Wünsche, Sichtweisen (Ich-Botschaften) statt Bewertung und Beschuldigung des anderen
Um eine ärgerliche, gereizte
Stimmung
zu verändern, sucht man am besten Aktivitäten, die eine bessere Stimmung erzeugen. Das können
auch
solche sein, die äußerlich wie ein «Abreagieren» aussehen, z.B. kraftvolle Sportarten. Hauptsache, es ist für diesen Menschen eine
positive Ablenkung
. Für A mag das eine Unterhaltungssendung sein, für B ein Stadtbummel und für C ein Kreuzworträtsel. Auch wer kräftig in die Klaviertasten schlägt oder einen Waldlauf macht, mag so die ärgerliche Stimmung vertreiben – aber nicht, weil dabei «Aggressionen abgeführt» werden, sondern weil es
diesem
Menschen hilft, sich in eine positivere Stimmung zu bringen. Die Empfehlung lautet also:
Tu etwas, was dir Spaß macht.
Daneben kommt auch körperliche Entspannung in Frage, z.B. ruhiges Durchatmen oder ein warmes Bad. Alle diese Selbstbeeinflussungen können und sollen nicht den Ärger abschalten, sie sollen nur helfen, dass er nicht zu lange andauert. Anders gesagt: Sie beschleunigen das ohnehin zu erwartende Abklingen der gereizten Stimmung.
Eine weitere Möglichkeit setzt am Denken an, genauer: an der
Bewertung
des Ärgeranlasses. Von der Bewertung hängen die eigenen Gefühle ab. Man kann sich also fragen: Ist die Sache wirklich so gravierend? Soll ich mir davon den ganzen Tag verderben lassen? Fast immer ist es so, dass andere Menschen sich bei demselben Anlass nicht ärgern würden. Wie würden die wohl denken?
Eine Stimmungsänderung reicht natürlich nicht aus, wenn man ein
Problem zu lösen
hat, etwa wenn man sich tief verletzt fühlt oder in einer schweren Beziehungskrise steckt. Hiermit konstruktiv umzugehen, erfordert gründliches
Nachdenken
über das Geschehene, über die eigenen Empfindungen, die eigenen Ziele, die Sichtweise des Kontrahenten usw. Seine Gedanken zu Papier zu bringen, kann den Klärungsprozess intensivieren.
Weiterhin kann es helfen, über das Problem zu
sprechen
, aber nicht irgendwie! Denn Schimpfen und Jammern ist, wie oben gezeigt, kein «Stuhlgang der Seele», sondern heizt den Ärger eher noch an – man kann dabei richtig «in Fahrt» kommen. Auch die verbreitete Vorstellung, es sei gesünder, seinem Ärger freien Lauf zu lassen, als ihn zu unterdrücken, ist nicht richtig – beides ist ungesund. Eine gesunde Alternative sowohl zum Unterdrücken als auch zum aggressiven «Rauslassen» ist unter anderem das Mitteilen der eigenen Empfindungen und Meinungen in Ich-Form («Ich ärgere mich über deine Bemerkung; ich finde sie ganz ungerecht»). Das gilt sowohl für Gespräche mit einer einfühlsamen Vertrauensperson als auch für die
Aussprache
mit dem Kontrahenten. Hierzu mehr im anschließenden Kapitel 10.1 über Gesprächsführung und Konfliktlösung.
Und nun noch einmal zurück zum Ausgangsbeispiel, dem Boxtraining. Unter bestimmten Bedingungen ist es vielleicht eine nützliche Sache – etwa dann, wenn Jugendliche, die Boxsport attraktiv finden, auf diese Weise «von der Straße
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