Abschied von Eden
Vergrößerungsglas aus der Schreibtischschublade, ohne genau zu wissen, was er eigentlich suchte.
Nach drei Stunden Quälerei für Rücken und Augen stand Decker auf, streckte sich und holte sich eine Tasse Kaffee. Er wünschte, es wäre schon Freitag und nicht erst Dienstag. Aber zumindest eine interessante Sache hatte er entdeckt.
Linda Darcy hatte im vergangenen Jahr sechsmal ein Zimmer im Sleepy-Bi Motel auf dem Foothill Boulevard bezahlt – das Motel, in dem sie vor langer Zeit mal mit Byron gewesen war. Außerdem war ein bestimmtes Muster offenkundig geworden. An dem Tag, an dem sie das Motelzimmer zahlte, hatte sie jedes Mal an derselben Tankstelle getankt – einer Shell-Tankstelle.
Sie hatte das Zimmer bezahlt.
Soviel zum Thema Frauenemanzipation.
Decker nippte an seinem Kaffee, dann wählte er die Nummer des Sleepy-Bi Motels. Der Angestellte an der Rezeption meldete sich mit näselnder Stimme. Decker nannte seinen Namen und sein Anliegen, beschrieb Linda und gab dem näselnden Typen die Daten durch, an denen die Stelldicheins stattgefunden hatten. Der Angestellte rief zurück und berichtete, daß sich an allen genannten Tagen ein Mr. und eine Mrs. Smith in Zimmer 211 einquartiert hätten.
Was für eine Überraschung. Decker stellte weitere Fragen.
»Können Sie sich erinnern, wie Mr. und Mrs. Smith aussahen?«
»Die Missus könnt’ die Frau gewesen sein, die Sie beschrieben haben. Ganz schön sexy.«
»Und der Mann?«
Der Angestellte entgegnete näselnd, in seinem Metier würde er sich eher bemühen, Gesichter zu vergessen als sie sich zu merken.
Decker beschrieb Byron Howard, dann Rolland Mason. Der Angestellte sagte, er sei sich nicht sicher, aber soweit er sich erinnere, hörten sich beide Männer nicht nach dem Typ an, mit dem die Frau dagewesen sei. Decker dankte ihm und hängte ein.
Fehlanzeige.
Zehn Minuten später wählte Decker die Nummer der Shell-Tankstelle, die Linda benutzt hatte. Vielleicht konnte sich einer der Tankwarte an Linda und ihren anonymen Beau erinnern. Es meldete sich ein Mann namens Grains. Decker sagte sein Sprüchlein auf, und als er Linda Darcy erwähnte, kam eine völlig unerwartete Reaktion. Grains ging in die Defensive, senkte seine Stimme zu einem Flüstern und fragte, was ist mit Linda?
Bingo!
Decker hakte nach. Grains Stimme klang immer nervöser. Schließlich erklärte Decker, er würde persönlich vorbeikommen, um Grains einen Besuch abzustatten. Grains bat um eine halbe Stunde Aufschub. Ihm gehörte die Tankstelle, einer seiner Männer sei krank, und er stecke bis zum Hals in Arbeit. Decker gewährte ihm die Gnadenfrist, und sie verabredeten sich in einer halben Stunde in dem McDonald’s gegenüber der Tankstelle.
Grains saß bereits an einem Ecktisch, als Decker hereinkam. Der Tankstellenbesitzer hatte ein ovales Gesicht, spärliche blonde Haare, hervortretende blaue Augen und schwielige Hände mit Fingernägeln voller Schmiere. Er schien um die Vierzig zu sein, war schlank und hatte einen vorstehenden Adamsapfel, der bei jedem Schlucken hüpfte. Er trug ein kurzärmeliges weißes Hemd, auf dem in rotem Garn der Name Jim auf die Brusttasche gestickt war. Decker setzte sich auf den Stuhl neben ihn. Grains schaute noch nicht einmal auf.
»Das ist meine einzige Pause.« Er war bereits beim zweiten Viertelpfünder mit Käse. Außer den Hamburgern standen zwei Salate, zwei Portionen Pommes frites und ein Schokoladenshake auf dem Tisch. »Bringen wir’s hinter uns.«
»Was sollen wir hinter uns bringen?« fragte Decker.
Grains betrachtete Decker seufzend. Dann fuhr er sich mit einer Hand durchs Gesicht. »Sie sind doch ein richtiger Cop, oder? Nicht so ’n Schnüffler von ’ner Privatagentur?«
Decker zog seine Dienstmarke hervor und zeigte sie ihm. Grains schien sich ein wenig zu entspannen. »Wie kommen Sie auf die Idee, ich wär’ ein Privatdetektiv?«
»Ich dachte, meine Frau hätt’s vielleicht rausgekriegt.« Grains mampfte an seinem Sandwich. »Vielleicht leide ich immer noch ein bißchen unter Verfolgungswahn. Ja, das wird’s sein. Schließlich hab’ ich Linda seit über sechs Monaten nicht mehr gesehen.«
»Wie hat die Affäre angefangen?« fragte Decker.
»Linda brachte schon seit sechs, sieben, acht Jahren, weiß der Teufel wie lange, ihr Auto her zur Inspektion. Vor etwa einem Jahr verhielt sie sich plötzlich mir gegenüber ganz anders, richtig freundlich.« Er schob sich ein halbes Dutzend Pommes frites in den Mund.
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