Abschied von Eden
Mal mit ihr geredet hab’, als ich ihr die furchtbare Nachricht überbracht habe, und dann später noch mal, als sie Katie abholte.« Marge schüttelte den Kopf. »Entweder ist sie eine hervorragende Schauspielerin, oder sie wußte wirklich nichts von dem ganzen Gemetzel.«
»Damit wären wir wieder bei Granny und Pappy Darcy. Ich werde versuchen, mit den Eltern zu reden. Wird allerdings schwer sein, weil Nixon bestimmt der ganzen Sippschaft eingebleut hat, sie sollen sich bedeckt halten. Plötzlich hören die auf Nixon. Erstaunlich, wie aus einem ›Nigger‹ ein Anwalt wird, wenn die Familie in der Scheiße sitzt.«
Marge lächelte.
»Allerdings haben wir überhaupt nichts gegen sie in der Hand. Wir haben nur Earls Geständnis und einige konkrete Hinweise, daß er am Tatort war – seinen Fußabdruck und die Tatsache, daß er die Schrotflinte erwähnt hat – und die kleine Waffe. Wir haben nichts Konkretes gegen Pappy und nur einen anonymen Schuhabdruck in der gleichen Größe, die auch Granny trägt. Wenn wir den Fall hieb- und stichfest lösen wollen, müssen wir schon mit was Besserem aufwarten.«
»Mal angenommen, es war so, wie Sue Beth ursprünglich behauptet hat. Daß nämlich Earl bei Luke und Linda bleiben sollte. Dann ist jedoch dieser ganze Scheiß passiert, und Granny hat Pappy vorgeschickt, um ihnen ein Alibi zu verschaffen. Granny selbst ist da geblieben, um Spuren zu beseitigen.«
»Was ist mit Katie?« fragte Decker.
»Großes Fragezeichen.«
»Wenn Granny allerdings da geblieben ist, wie hat sie’s dann geschafft, bis zum Abendessen mit Earl in Fall Springs zu sein?«
»Entweder Pappy ist mit dem Bus gefahren und hat Granny und Earl das Auto da gelassen, oder Pappy hat das Auto genommen und Granny und Earl sind mit dem Bus gefahren.«
»Einverstanden. Ein Taxi käme für sie nicht in Frage.«
»Sollte nicht allzu schwer rauszukriegen sein«, sagte Marge. »Nach Fall Springs fahren nicht sehr viele Busse. Relativ wahrscheinlich, daß dem Fahrer eine Frau mit ihrem erwachsenen, geistig behinderten Sohn aufgefallen ist … es sei denn, Pappy ist mit dem Bus gefahren.«
Decker sagte, er würde die einzelnen Busfahrtlinien vom Büro aus anrufen.
Marge schwieg einen Augenblick. Dann sagte sie: »Es kotzt mich nur an, daß jemand versucht, Earl die Sache anzuhängen.«
»Laß uns nicht zu voreilig sein. Vielleicht hat er es ja tatsächlich getan.«
Marge sah ihn zweifelnd an.
»Ja, es stinkt zum Himmel«, sagte Decker. »Aber seien wir doch mal ehrlich, Marge, es spricht vieles dafür, dem Jungen die Sache anzuhängen. Ein Richter würde nur einen Blick auf Earl werfen und ihn in ein Heim sperren. Nette saubere Lösung.«
»Es einem geistig behinderten Jungen anzuhängen«, sagte Marge.
»Im Gegensatz zur landläufigen Meinung springt für die Sanftmütigen nicht allzuviel heraus.«
Decker saß am Eßzimmertisch. Er war bei der vierten Flasche Bier und der dritten Zigarette, als er Rina vorfahren hörte. Rasch warf er die leeren Flaschen und die ausgedrückten Zigarettenenden in den Müll, setzte sich wieder hin und fing an zu grübeln. Verdammtes Bussystem. Nie war jemand zu erreichen, der Bescheid wußte. Die Fahrer waren ständig unterwegs, und die verdammten Fahrpläne änderten sich immer in letzter Minute. Decker hatte zwei Stunden verplempert und erwartete von mindestens einem halben Dutzend Leute Anrufe. Aber es war schon halb sieben, und sein Telefon hatte die ganze Zeit geschwiegen.
Bis auf den einen Anruf aus New York. Eine nervöse Stimme hatte am anderen Ende gesprochen.
Ist Rina da?
Nein. Kann ich etwas ausrichten?
Sagen Sie ihr einfach, sie möchte zu Hause anrufen.
Wo zu Hause?
In New York.
Ist alles in Ordnung?
Ja.
Wer ist da, bitte?
Sagen Sie ihr einfach, sie möchte zu Hause anrufen.
Klick.
Zu Hause anrufen. Als ob sie irgendein verdammter Außerirdischer wäre. Und er wurde behandelt, als ob er der letzte Dreck wäre.
»Hi«, sagte Rina. »Du bist aber früh zu Hause.«
Ein Kuß auf die Stirn.
»Es hat jemand aus New York für dich angerufen, eine Frau«, sagte Decker, während er unverwandt auf den Stapel Busfahrpläne starrte. »Du möchtest zu Hause anrufen.«
Rina legte die Tasche mit Lebensmitteln auf den Tisch. »Was ist passiert?«
Decker hörte die Panik in ihrer Stimme und blickte auf. »Mach dir keine Sorgen. Sie hat gesagt, es wär’ alles in Ordnung.«
»Wer?« fragte Rina.
»Sie hat ihren Namen nicht genannt. Hörte sich an wie
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