Abschied von Eden
setzte er ihr eine Magnum an den Kopf.
Auf einmal merke ich, daß ich die Magnum in der Hand halte, ich schwör’s dir … ich erinnere mich an das Gefühl von kaltem Stahl … Ich sah nach unten …« Decker starrte auf seine rechte Hand, als ob er sie noch nie gesehen hätte. »Ich halte die Scheißwaffe in der Hand. Das muß Bagman gewesen sein … kann nur er gewesen sein. Er muß sie Stiller weggenommen und mir in die Hand gedrückt haben. Gott ist mein Zeuge, ich hab’ nicht danach gegriffen oder sie mir genommen oder sonst was. Dann hör’ ich Bagman sagen: ›Du machst es. Abe war dein bester Freund, Mann.‹ Vergangenheit. Die reden, als ob du schon tot wärst.«
Decker steckte sich die Zigarette in den Mund und zog so heftig daran, daß ihm der Rauch in der Kehle brannte.
»Doch inzwischen bin ich völlig überdreht. Sie weint … fleht mich in Pidgin-Englisch und auf vietnamesisch an. Du stöhnst wie verrückt. Abe, du magst vielleicht geglaubt haben, du würdest mich anschreien, sie zu retten. Aber ich schwöre dir bei Gott, du hast nur gestöhnt …«
»Du sagst, du hast nicht gehört, wie ich dich angefleht habe?«
»Ich sage nur, daß ich einen sterbenden jungen Mann vor mir hatte, der Blut spuckte … und irgendwas brabbelte, was ich nicht verstehen konnte oder nicht verstehen wollte.« Decker mußte schlucken. »Mann, ich hab’ Song direkt in die Augen gesehen, und in diesem Augenblick sah ich nur … Feind. Also hab’ ich sie erschossen, ich … hab’ sie erschossen.«
Decker hielt sich eine Faust vor den Mund. Irgendwie war er außer Atem, als ob ihm jemand einen unerwarteten Schlag versetzt hätte. Was er zwanzig Jahre unterdrückt hatte, war so grauenhaft an die Oberfläche gekommen wie eine aufgedunsene Leiche. Im Zimmer war es drückend heiß geworden. Er ging zum Fenster, riß es auf und streckte den Kopf raus. Typische Straßengeräusche drangen an sein Ohr und löschten die widerwärtigen Schreie der Erinnerung aus.
Aber nicht völlig. Decker hatte sich selbst geschockt. Die Klarheit der Bilder, die Details. Wie ein Film, der mit ungeheurer Geschwindigkeit abläuft und in dem trotzdem jedes noch so kleine Detail zu erkennen ist. Sein Gehirn wollte vergessen, wünschte sich nichts sehnlicher, als einen amöbischen Klecks explodierenden Fleisches zu vergessen. Doch sein Gedächtnis war unbarmherzig. Er starrte aus dem Fenster, um Erlösung zu finden, doch er sah nur seine Schuld.
Minuten später hörte er Abels humpelnden Schritt hinter sich.
»Willst ’n Bier?« fragte Abel.
»Yeah.«
Abel riß zwei Dosen Bud auf und stellte sie auf den Küchentisch. Decker setzte sich hin und trank seine Dose in vier Zügen aus. Abel gab ihm noch eine, dann setzte er sich zu ihm und trank den Schaum oben von der Dose ab.
»Du mochtest sie nicht, stimmt’s?«
»Hatte nichts mit ihr persönlich zu tun«, sagte Decker. »Ich meine, sie war ganz nett. Und sie war sehr schön. Aber sie war ein Schlitzauge. Atwater, für mich waren sie alle Schlitzaugen – die uns freundlich gesonnenen genauso wie der Vietcong. Ich konnte mich mit diesen schrägen Augen nicht anfreunden, nicht weil ich Vorurteile hatte, sondern weil ich da draußen die Guten nicht von den Bösen unterscheiden konnte.«
»Und ich hab’ immer geglaubt, du wärst eifersüchtig.«
»Eifersüchtig auf sie, nicht auf dich.« Decker hatte jetzt endlich den Mut, Abel in die Augen zu sehen. »Wir waren verdammt eng befreundet, dann hast du sie kennengelernt und bist nur noch mit verträumten Augen rumgelaufen. Das war schon schlimm genug – ich hänge einsam mitten in der Scheiße zwischen Reisfressern, und du schwebst auf Wolke sieben. Dann hast du aufgehört, für die Jungs was zu machen. Aber ich hab’ ja gut reden, ich hab’ ja nie was für sie getan. Also behielt ich meine Meinung für mich. Aber was mich und alle anderen richtig angekotzt hat, war deine plötzliche Verweigerungshaltung aus Gewissensgründen. Ich erinnere mich an einen Fall, als Tony the Wolf über Schlitzaugen geredet und irgendwas Bösartiges gesagt hat, was genau, weiß ich nicht mehr. Da hast du dazwischengeflötet: ›Weißt du, die Vietnamesen sind auch Menschen‹ und bist aus der Hütte stolziert. Mann, Tony hätte dich am liebsten auf der Stelle alle gemacht. Ich weiß noch, daß ich ihn mit Gewalt zurückhalten mußte, und das war nicht einfach, denn Tony war ganz schön kräftig.
Ich meine, als ob wir nicht schon genug Ärger hätten mit King
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