Abschied von Eden
Privates dazwischengekommen war. Vermutlich war Pete nur nach Hause gefahren, um ein bißchen Schlaf nachzuholen. Egal. Gönn dem Mann seine wohlverdiente Ruhe.
»Detective Dunn«, sagte Hollander, »könntest du mal einen Blick auf dieses Foto werfen.«
Marge betrachtete Douglas Miller.
»Kommt er dir bekannt vor?« fragte Hollander.
»Yeah, laß mich mal nachdenken.« Nach einigem Überlegen gab Marge ihm das Foto zurück. »Ich bin im Moment blockiert. Fällt mir vermutlich unter der Dusche wieder ein.« Dann wandte sie sich an Dotty. »Sind Sie bereit?«
»Ich kann’s kaum erwarten.«
Es war fast drei Uhr morgens, als sie bei Sophi Rawlings ankamen. Sophi trug ein kurzärmeliges weißes T-Shirt-Kleid und hatte ein leichtes Umhängetuch übergeworfen. Sie stand bereits in der Tür, als Marge das Zivilfahrzeug in der Kurve parkte. Ein dünner Nebelstreifen hing in der frühmorgendlichen Luft. Als sie aus dem Auto stiegen, war Dottys Atem deutlich zu hören.
»Ich bin Detective Dunn, Ms. Rawlings«, sagte Marge. »Wir haben miteinander telefoniert. Das hier ist Mrs. Palmer aus der Bay-Gegend, möglicherweise die Mutter von Baby Sally, und das ist Mr. Benko. Er hat sie hierher begleitet.«
»Kommen Sie rein«, sagte Sophi. »Die Kleine schläft, aber ich hab’ das Nachtlicht am Bettchen angelassen.«
»Gehn wir«, sagte Marge.
Dotty legte den Arm um Benkos Schultern.
»Können Sie wirklich gehen, Dotty?« fragte Marge.
Dotty wollte ja sagen, aber das Wort schien ihr in der Kehle stecken zu bleiben. Also nickte sie statt dessen. Marge nahm sie trotzdem an der Hand. Gestützt von Marge und Benko machte sich Dotty ganz langsam auf Richtung Kinderzimmer. Der Weg schien endlos.
»Sally« schlief mit drei anderen Kindern in einem Zimmer. Das erste war ein vierjähriges schwarzes Mädchen. Es trug ein Snoopy-Nachthemd und hatte sich bloßgestrampelt. Gegenüber standen zwei Metallbetten. Darin schliefen zwei Mädchen im Alter von vier und sechs in ihrer Unterwäsche. Beide hatten langes, dichtes Haar, das fast bis zur Hüfte reichte. Das Kinderbettchen stand ganz am Ende des Zimmers. Benko führte Dotty dorthin. Sie mußte all ihren Mut zusammennehmen, bis sie endlich wagte hineinzusehen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, während sie mit den Fingerspitzen dem schlafenden Kind die Locken aus der Stirn strich.
Dotty starrte das Baby lange an. Als sich Benko schließlich räusperte, reagierte sie immer noch nicht.
Nach einigen Minuten Schweigen flüsterte Sophi: »Das ist nicht Ihre Tochter, nicht wahr, Mrs. Palmer?«
Dotty zögerte, dann schüttelte sie den Kopf.
»Laß dir Zeit«, sagte Benko. »Überstürz nichts. Sieh noch mal genau …«
»Das ist sie nicht, Charlie«, sagte Dotty. »O Charlie, sie hat nicht Heathers Grübchen, und Heather hat einen kleinen Leberfleck oben am linken Ohr. Und Heather hat dünnere Augenbrauen … und längere Wimpern … und – o Charlie, was soll ich bloß tun?«
Dottys Augenlider flatterten, und sie taumelte nach vorn. Marge fing sie an den Schultern auf und trug dann zusammen mit Benko ihren schlaffen Körper ins Wohnzimmer. Dort legten sie sie auf ein altes Plaidsofa.
»Ich hol’ was Wasser«, sagte Sophi.
»Und ein Handtuch, bitte«, sagte Marge und flüsterte leise »Scheiße« vor sich hin. »Was nun?« sagte sie zu Benko.
»Ich werd’ weitersuchen.« Er bohrte seinen Finger in Marges Schulter. »Und Sie denken weiter darüber nach, wem der Scheißkerl ähnlich sieht, Lady.«
Marge stieß seinen Finger weg. »Pfoten weg, Junge.«
Benko hob die Hände. »Du lieber Gott! Tut mir leid.«
Marge seufzte. »Schon gut. Ich hab’ ’ne lange Nacht hinter mir.«
Sophi kam mit Wasser, Riechsalz und einem feuchten Handtuch zurück. Sie brach die Riechsalzkapsel auf und hielt sie Dotty unter die Nase. Dotty regte sich und öffnete die Augen.
»Es ist alles in Ordnung, Baby«, sagte Sophi. »Alles okay.« Sanft betupfte sie Dottys Stirn.
»Hi, Dotty«, sagte Benko. »Du hast dich großartig gehalten, Honey.«
»Sie ist es nicht«, stöhnte Dotty.
»Tut mir leid, Dotty«, sagte Benko. »Tut mir wirklich leid. Ich dachte, wir hätten vielleicht ’ne Chance … Tut mir leid. Das ist nur ein kleiner Rückschlag. Wir finden den Dreckskerl und deine Heather.«
»O Gott«, jammerte Dotty.
»Nicht aufregen, Honey«, sagte Sophi. »Trinken Sie das.« Sie hielt ihr das Glas Wasser an die Lippen. Dotty nippte zunächst ganz vorsichtig, dann stürzte sie das
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