Abschied von Eden
Wasser hinunter.
»Ich muß hier raus«, flüsterte Dotty.
»Du solltest dich erst ein bißchen ausruhen, Dotty«, sagte Benko.
»Bitte, Charlie«, flehte sie. »Bring mich bitte hier raus!«
»Okay, okay«, sagte Benko. »Ich will bloß nicht, daß du dich überanstrengst. Na dann los, Dot. Ich helf dir beim Aufstehen.«
»Vielen Dank, Ms. Rawlings«, sagte Marge. »Ich weiß Ihre Hilfe wirklich zu schätzen.«
»Richten Sie Detective Decker aus, daß ich morgen mit Baby Sally zum Arzt gehe«, sagte Sophi. »Und ich werd’ ihn wegen dem Ausschlag fragen.«
»Mach’ ich«, sagte Marge. »Kommen Sie, Mrs. Palmer, ich helfe Ihnen. Stützen Sie sich auf mich.«
»Bitte, Detective. Bitte! Finden Sie diesen Scheißkerl!« flüsterte Benko Marge ins Ohr.
Decker wachte um sechs Uhr auf, ließ den Hund raus, duschte und rasierte sich, zog sich an und sagte dann eine verkürzte Version der Schacharit – der Morgengebete. Früher hatte er die Gebete komplett gesprochen und sogar Phylakterien getragen, doch das schien ihm in letzter Zeit sehr viel Aufwand für nur ein bißchen geistige Erhöhung. Deshalb beschränkte er sich nun auf das Schema – den Kern des Judaismus – sowie auf achtzehn Verse stiller Andacht. Als er fertig war, legte er seinen Siddur hin und betrachtete sich im Spiegel. Er klopfte auf seinen flachen Bauch und spannte den Bizeps. Der Körper war nicht das Problem, sondern das Gesicht. Diese Tränensäcke! Damit sah er aus, als hätte die große Vier schon vor Jahren ihre Spuren in sein Gesicht gegraben. Eine Sauerei, wo er doch erst vor einem Jahr die fünfte Dekade seines Lebens begonnen hatte. Was würde Rina denken?
Scheiße.
Die hinreißende Rina. Die hinreißende junge Rina. Noch keine dreißig, und wenn sie sich einfach anzog, konnte sie immer noch für eine High-School-Schülerin durchgehen. Während Decker sein Gesicht anstarrte, wurde ihm bewußt, daß er alt genug aussah, um ihr Vater sein zu können.
»Scheiß drauf«, sagte er.
Er ging in die Küche, schob vier Scheiben Brot in den Toaster und nahm einen Viertelliter Milch aus dem Kühlschrank. Das Küchenfenster ging nach hinten hinaus – auf flache unbebaute Felder, die sich am Fuß der Berge verloren. Die morgendliche Sommersonne war bereits sehr stark und sandte ihre honiggelben Strahlen auf Felsen und in Spalten. Das Fenster stand auf, und die Luft fühlte sich trocken und staubig an. Während Decker aus der Milchtüte trank, hörte er Ginger aufgeregt kläffen. Das Bellen war begleitet von regelmäßigen Hammerschlägen, und dieses Geräusch kam von seinem Grundstück. Aus seiner Scheune.
»Was, zum Teufel, ist das denn?« sagte Decker laut. Er ging durch die Hintertür hinaus und blieb abrupt am Eingang der Scheune stehen. Mitten im Raum kniete Abel auf seiner Prothese und war gerade dabei, ein morsches Brett aus dem Fußboden zu reißen. Neben ihm standen ein Werkzeugkasten und eine Schachtel mit Nägeln.
Ginger bellte den Fremden an. Decker beruhigte sie und sagte: »Abel, was machst du da?«
»Deine Scheune und dein Stall sind die reinsten Bruchbuden, Doc«, sagte Abel. »Die Dielen sind verzogen, die Boxen gehen aus den Nähten, und die Balken wurden stümperhaft eingepaßt. Hast du das alles selbst gebaut?«
»Zufällig ja«, sagte Decker.
»Wirst offenbar ’n bißchen nachlässig, Doc.«
»Abel …«
»Und deine Scheunenwand sieht aus wie Schweizer Käse«, sagte Abel. »Voller Einschußlöcher. Duell am O. K. Corral, Pete?«
Decker ignorierte die Bemerkung. »Wie bist du überhaupt hierhergekommen?«
Abel zeigte auf ein Motorrad, das an der Wand lehnte.
»Du bist mit diesem Motorrad hierher gefahren?«
»Nein, Doc. Ich hab’s über der Schulter getragen.«
»Werd’ nicht frech«, sagte Decker. Er streichelte Ginger, ging dann zu Abel rüber und baute sich vor ihm auf. »Zeig mir mal deinen Führerschein.«
Abel sah auf. »Was?«
»Zeig mir deinen Führerschein.«
»Willst du mich verarschen?«
»Den Führerschein!«
Abel zögerte. Dann griff er in seine Tasche und warf den Führerschein auf den Boden. Decker hob ihn auf, warf einen Blick darauf und gab ihn zurück. Abel steckte die Karte wieder ein.
»Weißt du, ich hatte mal ’nen guten Freund, aber der ist ein Cop geworden.«
»Yeah, aber gestern hast du nicht den Freund, sondern den Cop angerufen.«
»Vielleicht war’s ein Fehler von mir, ihn überhaupt anzurufen.«
Eine Zeitlang sagte keiner von beiden etwas. Abel zog weiter an dem
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