Abschied von Eden
Ich hab’ Mrs. Bingham das Foto gezeigt, und sie meinte, es käme ihr bekannt vor, aber sie wußte nicht, wieso. Haben Sie eine Ahnung, wer dieses Kind sein könnte?«
Jane betrachtete das Foto und fing an zu lachen.
»Was ist?« fragte Decker.
»Sie sieht ein bißchen wie Pattys Jüngste aus.«
Decker bekam große Augen.
»Natürlich ist das nicht Andrea«, sagte Jane.
»Sehen sie sich denn sehr ähnlich?«
»Nur ein bißchen um die Augen … und die Haare.« Jane gab Decker das Foto zurück. »Alle Kinder in dem Alter sehen irgendwie gleich aus. Kleine pausbäckige Gesichter und so … Aber das da kenn’ ich nicht.«
»Nie hier in der Gegend gesehn?«
»Nein«, sagte Jane.
»Ganz sicher?«
»Hier laufen viele Kinder rum«, sagte Jane, »und ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, daß ich die Kleine nie gesehen hab’. Aber ich weiß nicht, wer sie ist.«
»Danke, daß Sie mir Ihre Zeit geopfert haben«, sagte Decker.
Dann fuhr er zum Haus der Binghams zurück.
»Sie schon wieder?« sagte Patty, als sie ihn vor der Tür stehen sah. Doch sie lächelte.
»Ich glaub’, ich möchte jetzt doch ’nen Kaffee«, sagte Decker.
Pattys Lächeln verwandelte sich in ein Grinsen. »Gehn Sie doch bitte schon mal außen rum. Wir treffen uns dann hinten.«
»Mich stört der Lärm nicht«, sagte Decker. »Ich mag Kinder.« Bevor Patty Einspruch erheben konnte, war er bereits drinnen.
Die Diele war als Zentrum des Hauses angelegt – links davon ging das Wohnzimmer ab, rechts davon das Eßzimmer. Das Wohnzimmer war dürftig eingerichtet und wirkte steril – ein weißes Samtsofa mit passenden Sesseln, ein Couchtisch aus Glas und ein Kamin, der noch nie benutzt worden war. Im Eßzimmer standen ein Resopaltisch mit Holzmaserung und acht Stühle. Durch das Eßzimmer sah man in eine Küche, die mit den modernsten Geräten ausgestattet war. Eine der Arbeitsplatten aus weißem Resopal war bereits durch einen Brandfleck verunziert. Die Schränke waren zwar neu, aber billig gemacht, und der Lack warf an vielen Stellen Blasen. Rechts von der Küche lag das Fernsehzimmer. Hier herrschte ein heilloses Durcheinander. Die Kinder tummelten sich zwischen schmutziger Wäsche, Spielsachen und Essensresten. Der Fernseher plärrte. Die drei älteren Kinder lümmelten sich auf einem braun-weißen Plaidsofa mit Kunstlederstreifen. Eine Vierjährige saß mit gekreuzten Beinen auf dem langflorigen Teppichboden.
»Sie wollen tatsächlich bei all dem Lärm Kaffee trinken?«
»Wo ist denn das fünfte?« fragte Decker.
»Was?«
»Das fünfte Kind. Ich zähle nur vier.«
»Oh.« Patty sah sich um. »Brian, geh das Baby suchen.«
»Ich guck’ doch grad …«
»Ich hab’ gesagt, geh das Baby suchen«, befahl Patty. »Scheiße. Einen von denen such’ ich immer.«
Ein etwa zehnjähriger Junge rutschte von der Couch. Er sah aus, als würde er fortwährend den Eingeschnappten spielen.
»Wer ist das?«, fragte eins der älteren Mädchen. Sie hatte kurz geschnittene Haare und trug eine Zahnspange.
»Ein Polizist«, sagte Patty. »Ich hab’ ihn zum Kaffee eingeladen. Nehmen Sie Milch?«
»Schwarz.«
»Dürfen denn Cops im Dienst trinken?« fragte das Mädchen skeptisch.
»Kaffee schon«, sagte Decker.
»Kümmer’ dich um deinen eigenen Kram, Karen«, sagte Patty.
»Man darf doch wohl mal fragen«, stöhnte Karen. »Mein Gott.«
Brian kam mit einer Zweijährigen auf dem Arm herein. Sie trug nur eine Windel. Decker starrte ihr ins Gesicht. Jane hatte ein gutes Auge. Es bestand eine Ähnlichkeit, keine außergewöhnlich starke oder gar unheimliche, aber die beiden Mädchen hatten etwas Gemeinsames.
»Das ist die Kleinste?« fragte Decker.
»Ja, hält mich ganz schön auf Trab«, sagte Patty. »Hier ist Ihr Kaffee.«
»Danke.« Während er trank, betrachtete Decker die ganze Zeit das Baby. Vielleicht war es der schelmische Ausdruck in seinen Augen. Sally hatte eindeutig schelmische Augen.
»Wie lange sind Sie eigentlich schon Polizist?« fragte Patty.
Decker stürzte seinen Kaffee so schnell er konnte hinunter. »Viel zu lange.«
»Da kann Sie wohl nichts mehr überraschen, was?«
»Nein, Ma’am.«
»Mich auch nicht«, sagte Patty.
»Das ist ja unerträglich«, murmelte Brian.
»Halt deinen dummen Mund«, sagte Patty.
Decker stellte den Becher auf die Anrichte. »Danke für den Kaffee, Mrs. Bingham. Ich muß jetzt gehen.«
»Sie haben aber schnell getrunken.« Patty stupste ihm in die Rippen. »Ich hoffe, Sie
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