Abschied von Eden
Er warf einen Blick durch das Fenster. Obwohl nur wenige Sonnenstrahlen ins Innere drangen, konnte Decker auf der linken Seite eine mit Seilen abgesperrte Fläche erkennen, die mit Heu bedeckt war. Ansonsten standen überall Maschinen herum – große Metallzylinder und weitere Teile aus gebürstetem Stahl und Chrom, die er nicht identifizieren konnte.
Er sah Tommy Chin um das Haus kommen.
»Arnie echt sauer wegen Bienen«, sagte Chin.
»Machen Sie ’ne Pause«, sagte Decker. »Es kann nicht mehr lange dauern. Ich versuche jemand zu kriegen, der uns hilft, die Viecher loszuwerden. Wir wollen versuchen, sie einzuräuchern. Könnte dadurch Beweismaterial zerstört werden?«
Tommy dachte kurz nach, rieb sich ein Auge an der Schulter – seine Hände steckten in Handschuhen –, dann antwortete er, daß der Rauch sich eventuell mit einigen Körpergasen vermischen könnte, aber die Bienen müßten weg. Kein Mensch könne arbeiten, wenn Tausende von den Dingern um einen herumsummten. Arnie sei bereits zweimal durch den Plastikhandschuh in die rechte Hand gestochen worden und wär’ kurz davor, sich für arbeitsunfähig zu erklären. Decker fragte, ob Arnie noch drinnen sei.
»Arnie ist ein Arbeitstier«, sagte Tommy. »Wir tun, soviel wir können, bevor Sie die Viecher ausräuchern. Nehmen jede Menge Proben … überall, wo der Rauch was verändern könnte. Was die Insekten betrifft, ich hab’ ein paar Maden aufgesammelt und sie in Spezialbehälter getan. Ich les’ auch noch Bienen, Ameisen und Käfer auf. Auch ein paar lebendige zur Kontrolle. Mehr brauch’ ich nicht. Sie beseitigen den Rest, damit wir arbeiten können, ohne gestochen zu werden.«
Decker nickte. »Haben Sie Detective Crandal irgendwo gesehn?«
»Er war im Haus, dann ist er raus. Ich glaub’, jetzt ist er im Auto.«
Super, dachte Decker. Das hat uns gerade noch gefehlt. Ein Drückeberger im Team. Er zwang sich, zu Crandals Auto rüberzugehen. Der alte Mann saß auf dem Fahrersitz, die Fenster waren geschlossen, der Motor lief. Bestimmt hatte er die Klimaanlage auf volle Touren laufen. Decker klopfte an das Fenster auf der Fahrerseite, der Motor erstarb, und Crandal stieg aus seinem Kokon.
»Ich mach’ nur gerade ’ne Pause«, erklärte Crandal.
Klar doch, dachte Decker. Laut sagte er: »Hören Sie, wenn wir die Sache gemeinsam machen, sollten wir uns vielleicht mal über die Arbeitsteilung unterhalten.«
Crandal antwortete nicht.
»Ich mach’ die Aufräumarbeiten da drüben«, sagte Decker. »Und ich kümmer’ mich auch um den Background der Opfer. Eine Leiche konnte bisher noch nicht identifiziert werden. Wie wär’s, wenn Sie runter nach Palm Falls fahren würden, die überlebende Familie verständigten und sich mit ihnen unterhielten? Das würde mir gewiß eine Last von den Schultern nehmen.«
»Gott behüte, daß Ihre Schultern zu schwer beladen werden«, antwortete Crandal.
»Hören Sie, das hier ist noch nicht mal mein Zuständigkeitsbereich. Und ich kann mir auch was Besseres vorstellen, wie ich meine Zeit verbringen könnte. Aber ich hab’ das Kind gefunden, und ich möchte die Sache gern zu Ende bringen. Dafür werde ich bezahlt.« Er beruhigte sich allmählich wieder. »Ich sag’ dem Labor, sie sollen uns beiden Kopien von ihren Ergebnissen schicken. Sie schicken mir Ihre Aufzeichnungen, ich schicke Ihnen meine.«
Crandal seufzte, dann nickte er zustimmend.
»Ich seh’ mich hier draußen zu Ende um«, sagte Decker. »Sie durchkämmen das Wohnzimmer, ich übernehm’ die Küche.«
Crandal sah ihn unglücklich an, ging dann aber ins Haus. Der Sheriff schien nicht allzu wild auf Arbeit zu sein, aber Decker wollte nicht zu streng über ihn urteilen. Wenn es nicht für Katie gewesen wäre, hätte Decker diesen Fall weitergegeben. Und das wär’ auch kein Problem gewesen, da er für Sexualdelikte und nicht für Mord zuständig war. Außerdem stapelten sich noch bergeweise unerledigte Fälle auf seinem Schreibtisch. Aber aus irgendeinem Grund fühlte er sich dem kleinen Mädchen verpflichtet. Man braucht einem Kind nur mal die Windel zu wechseln, und schon läßt es einen nicht mehr los. Er schmunzelte in sich hinein. Ach, zum Teufel, die Kleine hatte ein Recht darauf zu erfahren, was mit ihren Eltern geschehen war. Dinge, die sie dem unvermeidlichen Seelenklempner erzählen konnte, wenn sie älter war. Außerdem hatte Decker vor ewigen Zeiten mal sechs Jahre bei der Mordkommission gearbeitet. Es war nicht so, als ob ihm
Weitere Kostenlose Bücher