Abschied von Eden
sie mitnehmen wollte und es sich dann anders überlegt hat.«
»Oder vielleicht hat jemand Linda gestört, als sie gerade die Flaschen machte.«
»Du meinst, Linda wollte mit Katie abhauen, und jemand hat sie daran gehindert?« fragte Decker.
»Nur so eine Idee«, sagte Marge.
»Bei einer Familienangelegenheit gäbe es viele Möglichkeiten«, sagte Decker. »Jemand hat sie alle umgenietet, dann ganz impulsiv beschlossen, Katie zu retten. Oder jemand hat entdeckt, was passiert ist, und das Kind gerettet. Es einfach in der Manfred-Siedlung abgesetzt, weil er nicht die Polizei rufen wollte. Ein Familienmitglied beschützt ein anderes.«
»Oder Byron Howard«, sagte Marge. »Ich wette, der würde sich genauso beschützend verhalten wie ein Familienmitglied. Er mag keine Fremden.«
»Yeah«, sagte Decker. »Glaubst du, daß seine Reaktion gespielt war?«
»Ich glaube, die Reaktion war echt. Aber das hat nichts zu bedeuten. Er könnte es in einem Anfall von Wahnsinn getan haben und dann wirklich schockiert sein, als er sieht, was er angerichtet hat.«
Decker nickte.
Marge fuhr an sechs Blocks mit Reihenhäusern vorbei und bog dann nach links in den Foothill Boulevard, zurück in die Zivilisation – Imbißbuden, Billigläden und schäbige Apartmenthäuser, bei denen der Putz bereits von der Sonne abblätterte. Nach zwei Blocks schlug sie einen Haken in den Freeway 210 West, der von der Rush-hour-Meute verstopft war. Schweigend kämpften sie sich eine Viertelstunde durch den Stop-and-go-Verkehr. Sobald der Verkehr etwas nachließ, fragte Marge: »Was ist mit Darlene als verdächtige Person?«
»Ihr Haß auf Linda war nicht zu übersehen.«
»Und falls sie es getan hat«, sagte Marge, »würde Byron sie zweifellos schützen wollen. Vielleicht hätte er sogar das Gefühl, den Mord an Linda indirekt verursacht zu haben, wegen seiner Affäre mit ihr.«
»Da steckt eine gewisse Logik drin. Der Aspekt eifersüchtige Ehefrau. Aber kannst du dir Darlene mit einer Schrotflinte vorstellen?«
»Ich hab’ schon seltsamere Dinge erlebt«, sagte Marge.
Das hatte Decker auch. »Weißt du, was mir gerade in den Sinn kam?« fragte er.
»Was?«
»Luke könnte die anderen getötet und dann die Waffe gegen sich selbst gerichtet haben.«
»Am Tatort wurde keine Waffe gefunden, Pete. Außerdem haben wir all diese blutigen Fußabdrücke in der Küche. Wer sollte die gemacht haben, wenn alle tot waren?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht ist jemand nach der Tat in die Küche gekommen und hat die Waffe und Katie mitgenommen.«
»Die Fußabdrücke deuten auf mehr als eine Person hin.«
»Einige Abdrücke stammen sicher von den Opfern«, sagte Decker. »Es könnte jemand in Blut getreten sein, bevor er oder sie erschossen wurde.«
»Okay. Sehen wir uns deine Theorie genauer an. Luke hat erst die anderen umgebracht, dann sich selbst. Ich könnte mir vorstellen, daß Luke Linda ermorden will, wegen ihres Rufs. Aber warum sollte er seine Schwester und den anderen Kerl um die Ecke bringen wollen?«
»Weiß ich nicht. Ich stell’ mir nur die Anordnung vor – Luke auf der einen Seite, die anderen zusammen in der Mitte. Das riecht meiner Meinung nach verdammt nach Luke.«
»Was ist mit den Kleenexfasern, die man an Katie gefunden hat?« fragte Marge. »Das Kind hat sich bestimmt nicht selbst den Schlafanzug abgewischt.«
»Ganz offensichtlich hat sie jemand mitgenommen und auf der anderen Seite des Hügels abgesetzt. Das Kind kann nicht den ganzen Weg allein gelaufen sein.«
»Pete, mir ist gerade was eingefallen. Das Kind könnte die ganze Sache miterlebt haben.«
»Meinst du?« sagte Decker. »Sie schien nicht unter einem Trauma zu stehen. Das hätte sie doch eigentlich, wenn sie gesehen hätte, wie ihre Mutter und ihr Vater so bestialisch umgebracht wurden.«
»Meinst du nicht, wir sollten trotzdem jemand zu Rate ziehen?«
»Klar. Ruf ’nen Seelenklempner für Kinder an und hör mal, was für Weisheiten er uns mitzuteilen hat.«
»Du magst wohl keine Psychologen?« fragte Marge.
»Kein Kommentar.«
Eine Weile herrschte Schweigen, das Marge schließlich brach.
»Unsere Vermutungen bringen nicht viel ohne das ganze Beweismaterial. Wenn Ozzie Crandal die Familie verständigt hat, wird sicher morgen einer von ihnen Katie holen kommen. Ein vorläufiger Laborbericht wird bis dahin auch vorliegen. Crandal wird zudem die unmittelbaren Angehörigen da unten interviewen. Morgen um diese Zeit sollten wir viel mehr wissen.«
»Gute
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