Abschied Von Freistatt
der Stille hörte er das langsame, hohle Klappern von Pferdehufen auf der Tempelallee - in der dunklen Stunde vor dem Morgengrauen. Aus irgendeinem Grund erschien ihm das langsame Herankommen bedrohlich, das Gefährlichste und Tödlichste auf der Welt, und er wußte, daß der Reiter am Gasseneingang anhalten und mit tiefer Stimme sagen würde:
»Junge, zu wem betest du da?«
»Ich weiß es nicht«, gestand Zip auf den Knien vor diesem berittenen Schatten, und ihm war kalt, so kalt wie die Toten im Schimmelfohlenfluß.
»Junge, worum betest du?«
»Um.« Aber es war nicht Rache, nicht wirklich; und es war gefährlich, etwas zu schnell oder verkehrt zu sagen, das spürte Zip, er spürte, daß er sich in der größten Gefahr seines Lebens befand, daß.
Ihr Götter, er hatte mit einer Rankanerin geschlafen. Er hatte damit angefangen, weil er Rache an rankanischem Stolz nehmen wollte, hatte angefangen, mit einer Feindin zu schlafen, und tat es schließlich, weil sie jemand war, mit dem man schlafen konnte. Und dann hatte er angefangen, verschiedene Dinge bei ihr zu entdecken - daß sie nicht wie die anderen ihrer Art war, daß sie gut war, daß sie derb wie eine Hafenhure und sanfter als alle in seinen Träumen sein konnte. Er war süchtig nach ihr geworden, fand sie unberechenbar, wußte nie, wie sie sein würde, oder weshalb er so für sie empfand - aber sie erregte ihn, und er mußte sie haben.
Er war Dreck vor seinem Gott. Das war alles, was er war, und die Frage stach geradewegs in sein Herz.
»Worum betest du?« erklang die Frage ein zweites Mal. Der Fremde war Hirt höchstpersönlich. Ein Hauch von kalter Sumpfluft umgab ihn.
»Ich weiß es nicht«, gestand Zip nun ehrlich und krallte mit gesenktem Kopf die Finger in sein Haar. »Ich weiß es einfach nicht mehr.«
»Geh nie zu einem Gott«, sagte Hirt, »mit Vorurteilen.«
»Mit - was?« Zip blinzelte zu dem berittenen Schatten hoch, sah das rote Schimmern der Glasaugen im Pantherkopf auf der Brust des Pferdes.
»Ich will es dir verdeutlichen«, sagte Hirt. »Wiedergutgemachtes Unrecht. Gelöste Probleme. Leben in geordneten Verhältnissen. Ist es das, was du willst? Geh zum Basar, Weissagerinnen verlangen nur ein Kupferstück für solche Versprechen. Das ist viel billiger als Blut.«
Der Fremde machte sich über ihn lustig. Zip stand auf, legte die Hand um sein Messer, denn der ganze alte, törichte Ärger stieg in ihm auf. Ein Mann konnte vieles schlucken, aber nicht, daß man ihn auslachte.
»Wiedergutgemachtes Unrecht«, sagte der Fremde mit tiefer Stimme. »Aber was ist, wenn du Unrecht getan hast - was ist, wenn dein Zorn und dein Haß keine Rankaner mehr finden, an denen du sie auslassen kannst? Kannst du dir ein solches Leben vorstellen?«
Das konnte er nicht. Er wußte nicht, wo er sein oder wofür er leben würde ohne Ranke; und Ranke ging ganz von selbst unter, ohne daß er etwas dazu tun mußte.
»Du schläfst mit Ranke«, fuhr Hirt fort. »Du brauchst Ranke, Junge, du brauchst es, um zu leben, denn wenn es nicht mehr ist, wird auch von dir nichts mehr da sein. Du hast deine Antwort erhalten. Hör auf zu beten.«
Zips Hand sank von seinem Messer. Er stand in der Kälte, einer Kälte, die daher rührte, daß er die Wahrheit gehört hatte und wußte, daß alles stimmte, was Hirt sagte.
Er stand immer noch da, als der Reiter an ihm vorbei in die Dunkelheit der Tempel ritt.
Die Luft war kalt. Das Glühen in seinem Altar war erloschen, und plötzlich verloren seine Steine den Halt, polterten hinab auf das Kopfsteinpflaster der Gasse und blieben verstreut liegen.
Taz, der Wegelagerer, stand mürrisch und gereizt im Morgengrauen an der Ecke der Flußstraße und beobachtete das Haus, wie er es tat, seit Ischade herausgekommen war. Sie war zurückgekehrt, und auch andere Leute hatten seither das Haus betreten: zum größten Teil gut gekleidete Männer, außerdem eine Frau und ein hinkender Bettler. Taz verstand es nicht, aber die Neugier stärkte seinen Mut, und so ging auch er zur Heckeneinfriedung und der eisernen Gartentür und berührte sie.
Er keuchte schmerzerfüllt auf und wich hastig zurück, als Eiseskälte den Arm hochzog.
Doch die Schmiedeeisentür, die nun blau wie Shalpas Geistfeuer glühte, öffnete sich von selbst und schwang nach innen. Wie gelähmt und doch von einem schrecklichen Zwang gequält, dem Gartenweg zu folgen, stand er da. Etwas wisperte ihm, dem Dieb, so verführerisch wie die Sünde zu, doch im Haus zu
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