Abschiedskuss
zurück.«
»Schau«, wirft Ash ein. »Da kommt ein Kellner. Maja, Rot- oder Weißwein? Yasu? Professor, noch ein Glas? Ich bin gleich wieder da.«
Chesterfield wendet mir seine Aufmerksamkeit zu. Ich habe dasselbe Gefühl wie bei der Vorlesung gestern. Er kommt mir so unnatürlich, fast ungreifbar vor. Diese Haarfarbe, ist die wirklich echt? Und warum finden Ash und Nikita, er sei so einnehmend? Sehen sie etwas in Chesterfield, was ich nicht wahrnehme? Oder bin ich es, die …
»Nutzen Sie die Gelegenheit und langen Sie ordentlich zu. Ich glaube, die Küche hat heute nicht gegeizt«, sagt der Professor. Sein Ton ist vertraulich, väterlich. Neben dem Duft von Leinen und feiner Wolle nehme ich auch den Geruch seiner Haut wahr. Er riecht nach Talkum.
»Dafür braucht man sich wahrlich nicht zu schämen«, fährt er fort. »Ich kann mich noch gut erinnern, wie das Studentenleben war. Man wollte wirklich kein Geld für das Abendessen ausgeben.«
Yasu lacht höflich, und ich stimme ein.
»Ich bin sehr gespannt darauf, was Sie mir am Donnerstag zeigen«, sagt Chesterfield. »Unsere ausländischen Studenten haben eine andere Sichtweise und einen anderen Bezugsrahmen, einen anderen mythologischen Background, wenn man so will.«
Ich fahre mir mit der Zungenspitze über die Lippen und nehme Anlauf.
»Also, Professor, ich muss Ihnen noch etwas gestehen. Ich kann da natürlich nur für mich sprechen …« Ich gestikuliere in Richtung von Yasu und fahre dann fort: »… aber ich habe im Unterschied zu den meisten anderen hier kein formales Kunststudium absolviert.«
Er antwortet mit gedämpfter Stimme, und sein Blick kommt mir plötzlich seltsam traurig vor.
»Seien Sie unbesorgt, meine Liebe. Vielleicht ist das ja auch ein Vorteil?« Einen Augenblick später ist der Professor wieder ganz der Alte, er schenkt mir ein strahlendes Lächeln und beschreibt mit der Hand eine ausschweifende Geste.
»Keine Hemmungen! Das ist mein Rat. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für Experimente und neue Denkansätze. Nun muss ich mich aber noch ein wenig umsehen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend …«
Leopold Chesterfield verstummt, nickt kurz und verschwindet zu einem anderen Studentengrüppchen.
Nikitas Teller ist randvoll, aber kein noch so kleiner mit Gorgonzola gefüllter Champignon fällt herunter, als sie sich einen Weg zu mir bahnt. Yasu hat einen Landsmann entdeckt und verlässt unsere kleine Schar mit einer Verbeugung.
»Dort drüben sind ein paar Plätze nicht belegt, beeil dich und halt sie für uns frei, Maja«, keucht Nikita.
»Entschuldigung, ist hier noch Platz für uns …?«, frage ich den jungen Mann auf der Bank. Ein paar wilde Augen begegnen meinen, und eine plötzliche Hitze breitet sich in meinem Unterleib aus. Dunkles zerzaustes Haar und ein leicht gekrümmter Rücken. Jack. Als er sich erhebt, scheint seinen Kleidern unsichtbarer kalter Rauch zu entströmen. In diesem Menschen steckt etwas Wildes, Rasendes, denke ich. Etwas, das er mit aller Kraft zügeln muss.
»Ich bin Jack Winter. Hier, kannst meinen Platz haben. Ich wollte ohnehin gerade gehen.«
Wieder dieser schottische Akzent. Sein Händedruck ist schroff und seine Haut so trocken wie ein Reibeisen. Offenbar bin ich bei der Berührung zusammengezuckt, denn er entschuldigt sich und zieht die Hand zurück.
»Verzeihung. Das liegt an diesem ganzen verdammten Terpentin.« Sein Blick ist unstet, und seine Wangen röten sich leicht.
»Super, vielen Dank«, sagt Nikita, den Mund voller Räucherlachs. Sie schwingt ein Bein über die Bank, wobei ihr fast die Rocknaht platzt.
»Schmierseife, sage ich nur«, fährt sie fort. »Du musst Schmierseife benutzen, Jack, kein Terpentin, das ist Gift.«
Jack Winter verschwindet wortlos. Wir sehen alle drei seinem Rücken hinterher.
»Mmm-mm-mm«, sagt Ashley nachdenklich. »Ich bin ihm doch verdammt noch mal schon früher begegnet. Jetzt fällt es mir wieder ein. Wir waren mal an derselben Jugendausstellung beteiligt. Er malt in Öl. Dunkle, ziemlich morbide Schinken. Abgehoben. Fand vermutlich, ich sei mit meinen kleinen Blumenbildern nicht ernst zu nehmen. Womit er möglicherweise sogar recht hat. Ich weiß nicht, ob ich ihn unheimlich oder sexy finden soll oder vielleicht beides.«
Ashley schnalzt spöttisch mit der Zunge und fügt dann hinzu:
»Er scheint jedenfalls total in Maja verschossen zu sein.«
Es schaudert mich, und ich kann es nicht verbergen. Als ich meinen Schwerpunkt fast
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