Abschiedskuss
Skardala. Es gibt in der Tat große Ähnlichkeiten. Aber so schönes Holz und mittelalterliche Gobelins hatten wir nicht.
»Eigentlich habe ich gar keinen Wein verdient«, seufze ich. »Ich bin wirklich die Schlechteste der Klasse.«
»Jetzt hör schon auf damit, Maja«, sagt Ash. »Du hast Talent. Ich habe deine Entwürfe gesehen. Aber du hast dir das natürlich alles selbst beigebracht, und vielleicht bist du auch, na ja, etwas zu vorsichtig«, fährt er fort und nimmt Besteck für uns drei.
»Genau!«, sagt Nikita und deutet auf einen argentinischen Wein mit Schraubverschluss. »Den da. Und drei Gläser, bitte«, sagt sie zu der Dame mit Haarnetz hinter der Theke.
»Alrighty, meine Liebe. Wohl bekomm’s«, sagt die Dame, und die Kasse scheppert. Ich sehe, dass Nikita mit weltgewandter Selbstverständlichkeit die Zeche für uns drei bezahlt. Sie setzt ganz offenbar voraus, dass sich am Ende alles ausgleichen wird, ohne dass man die Unterhaltung mit ängstlichen Verhandlungen darüber unterbrechen müsste, wie und wann alle ihren Anteil zurückzahlen.
Als das weißgekleidete Mädchen den Speisesaal betritt, verstummen, wie unter einer langsam sich ausbreitenden Druckwelle, ringsherum sämtliche Unterhaltungen. Möglicherweise bemerkt sie selbst das gar nicht. Sie eilt suchend zwischen den langen Tischen hindurch und hält einen großen Papierbogen in der Hand. Sie ist klein und flink und zerzaust, und ihre dicke Wolljacke hängt wie ein großes Kleid an ihr herab. Weiße Leggings. Dünnes kurzgeschnittenes Haar, das in alle Richtungen absteht, und ein niedliches Gesicht. Sogar die klobigen Stiefel sind aus hellem Leder.
Ich schaue zu Nikita herüber und stutze. Ihr Gesicht erschreckt mich. Zwei tiefe, dunkle Falten teilen die Stirn zwischen den Brauen, der Mund ist ein schmaler Strich.
Ashley lässt seine Gabel zu Boden fallen. In der herrschenden Stille wirkt das Klappern fast ohrenbetäubend. Wir beugen uns gleichzeitig nach unten, um sie aufzuheben, und stoßen fast mit der Stirn zusammen. Als ich mich wieder aufrichte, steht sie hinter mir und legt sanft eine Hand auf meine Schulter.
»Bist du nicht Maja?«
Ihre Stimme ist etwas heiser und keuchend, als hätte sie sich beeilt.
»Ich habe das hier auf dem Fußboden im Zeichensaal gefunden«, erklärt sie. »Ein Glück, dass du noch nicht weg bist. Hier.«
Sie reicht mir den Papierbogen. Es ist mein armseliges Selbstporträt. Sie nickt den anderen am Tisch kurz zu und scheint vor dem harten Gesicht Nikitas zurückzuweichen. Noch ehe ich ein Danke stammeln kann, beugt sich das weißgekleidete Mädchen zu mir vor und sagt fast flüsternd:
»Es gefällt mir sehr gut. Die Farben sind so zart. Ein wenig wie bei Pissarro.«
»Pissarro? Danke, aber das liegt daran, dass ich versehentlich zu viel Wasser zum Verdünnen genommen habe«, stammele ich und verhasple mich beinahe.
Sie lächelt flüchtig, zuckt mit den Achseln und ist verschwunden.
Ich halte mein Porträt mit beiden Händen fest, während es um uns herum langsam wieder lauter wird.
»Oha«, sagt Ash und schüttelt amüsiert den Kopf. Er deutet auf sein dunkelrosa angelaufenes Gesicht, grinst und meint:
»Unglaublich, sie ist einfach … also, welche Wirkung sie auf die Leute hat. Selbst auf mich! Dabei interessiere ich mich überhaupt nicht für Frauen, jedenfalls nicht in diesem Sinne.«
Ich verstehe, was er meint. Ich selbst habe das Gefühl, als sei soeben das schönste Gespenst der Welt in den Saal geflogen, hätte mich geküsst und sei dann wieder davongeschwebt.
»Wer war das?«, frage ich.
»Arabella Chesterfield.« Nikita spuckt den Namen förmlich aus und leert dann ihr Weinglas mit einem Zug.
»Die Tochter des Professors. Sein Augapfel.«
10. Kapitel
Die drei Zimmer von Professor Chesterfield dienen offenbar auch als Wohnung, was einiges über seinen hohen Status an der Kunstakademie sagt.
»Schön, dass ich Sie getroffen habe, Maja. Ich glaube, es ist gut, wenn wir uns ein wenig unterhalten. Unter vier Augen.«
Ich bin verlegen und wünschte, ich hätte erst noch gepinkelt. Ich spüre den Wein noch schwach in den Adern, durch den Alkohol fühlt sich meine Haut ein wenig betäubt und irgendwie leicht und luftig an.
Der hohe Salon, in dem wir sitzen, erinnert mit seinen weißen Wänden an eine Galerie. Die Einrichtung ist schlicht und exklusiv. Dänische und finnische Lampen, Vasen und Stoffe sind mit sicherer Hand ausgewählt und auf die kräftigen Farben der Gemälde
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