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Abschiedskuss

Abschiedskuss

Titel: Abschiedskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Hellberg
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Ohr. »Town … oder gown?«
    Mir ist klar, dass er gerade ein Ratespiel erfunden hat, mit dem sie mich den Rest des Abends quälen werden. Okay, game on. Die Mutter ist wirklich sehr jung, aber sie trägt demonstrativ einen breiten Ehering am Finger. Ungefärbtes Haar, etwas theatralischer Mantel und, zu meinem Erstaunen, Pumps mit richtig hohen Absätzen. Ich fühle mich an Sylvia Plath erinnert.
    »Gown«, sage ich.
    »Ping!«, sagt Nikita. »Sweden, one point. La Suède, un point.«
    Sie dreht sich um und schaut der Frau, die ihren Kinderwagen an den erleuchteten Schaufenstern vorbeischiebt, noch ein paar Sekunden hinterher.
    »Echte Chanel-Handtasche. Papa zahlt.«
    »Logisch«, sagt Ash mit leichter Verbitterung in der Stimme. »Die privilegierten Leseratten neigen aus irgendeinem Grund dazu, sich zeitig und leidenschaftslos in den Hafen der Ehe zu flüchten«, sagt er an mich gewandt. »Dann entdecken sie mit Anfang dreißig ihre Sexualität und schlagen über alle Stränge.«
    Er führt uns in eine dunkle Gasse. Zwischen den umgekippten Mülltonnen ist es eng. Die Gasse ist windgeschützt, der Geruch von Kebab und Urin hängt zwischen den Mauern.
    »Sehr schön«, sagt Nikita. »Du hast ein gutes Ziel ausgesucht, Ash. Jetzt kommt eine richtige Herausforderung.«
    Sie schwingt sich über ein Geländer, springt dann mit einem Satz eine halbe Treppe hinunter und öffnet eine mit Popkonzertplakaten gepflasterte Tür, die ich nie gefunden hätte, wenn ich allein gewesen wäre.
    »Tooown … oder gown?«
    Nikita muss wegen der niedrigen Deckenbalken den Kopf einziehen. Über der Bar reiht sich eine Sammlung alter Nachttöpfe an Messinghaken, über den ledergepolsterten Sofas hängen sepiabraune Cricketfotos und ausgefranste Fahnen von Ruderclubs. In jeder Nische leuchtet ein großer schief gewachsener Kürbis mit verfärbten Auswüchsen.
    In dem Pub müssen einige künstlerisch begabte Leute arbeiten, denn in jeden Kürbis ist eine fantastisch grinsende Teufelsfratze geschnitzt, die bösartig ins Dämmerlicht des Pubs hineinleuchtet. Sie gefallen mir sehr gut. Die Atmosphäre ist bodenständig und irgendwie heidnisch, dazu passen auch die schweren Holzmöbel.
    Auf einer großen schwarzen Tafel ist die Speisekarte angeschrieben. Pork Belly, Seebarsch und Beef & Beer Stew. Mein leerer Magen knurrt, aber ich achte nicht weiter darauf. Die Gäste, die ihre Teller noch vor sich stehen haben, sind bereits bei ihrem fruchtigen Nachtisch angekommen. Eton Mess und Knickerbocker Glory. Die Küche schließt gerade. Ein Student hat seine sanft dreinblickenden Eltern mitgenommen. Sie fallen aber eher durch ihre gebügelte helle Kleidung auf als durch ihr Alter. Mein Blick verweilt einen Moment zu lange bei ihnen. Was für eine Vorstellung, an seinem Geburtstag mit beiden Eltern in einem Pub in Oxford zu sitzen und zu reden. Eine bittere Sehnsucht überkommt mich. Eine gefährliche Sehnsucht, meinen inneren eisernen Griff loszulassen und einfach hemmungslos zu weinen wie ein kleines Kind oder ein Verrückter.
    Nein. So nicht. Das führt zu nichts.
    Ich blinzele, bis meine Augen wieder trocken sind. Pub. Ich bin mit meinen beiden Freunden in einem Pub. Es ist mein Geburtstag. Zwar ist nicht alles okay, aber ich bin okay. Gut. Fast gut.
    Als ich mich umsehe, erkenne ich drei Dozenten von der Akademie. Den Leiter des Aktseminars und zwei weitere. Sie sitzen mit gesenkten Köpfen über dunklem Bier an einem kleinen Tisch. Einer von ihnen hat einen schwarzen Königspudel dabei, der seine feuchte Schnauze auf die gekreuzten Vorderpfoten gelegt hat.
    Eine Gruppe junger Männer hat sich erhoben, um zu gehen, und als sie an uns vorbeischlendern, wird Ash blutrot, während Nikita einen Pfiff andeutet. Die Typen unterhalten sich laut. Sie heben sich deutlich von der Menge ab, sehen anders aus, wie edle Hengste. Golden. Ihre Haltung strahlt eine selbstverständliche Sicherheit aus, ihre Hemden hängen lässig herab, und sie zeigen ihre makellosen weißen Zähne. Als gehörten sie einer anderen Spezies an. Als würde die Sonne für sie immer scheinen. Eine fremde Aura umgibt ihre gebleichten Locken wie eine matte Patina. Der Glanz von Geld und Privilegien. Und von regelmäßigen Ferien an exotischen Orten, denen sie diese glänzende, goldbraune Lederhaut verdanken. Die sie nur noch unverletzlicher erscheinen lässt.
    »Mann«, sage ich, »viel zu einfach. Ich habe noch nie im Leben ein Lokal gesehen, das so ›gown‹ ist.«
    Ashley verdreht

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