Absolut WILD 3
Papa in Aussicht gestellt hatte – und ihm nun womöglich doch nicht erteilen würde.
»Wie wäre es mit Ivana, Papa?«, sagte ich. »Sie ist älter, und wir wissen, dass sie gern auftritt.«
»Was ist Ivana?«, bellte Pavlov Valkyrie.
»Sie ist Boris’ Mutter und kommt aus einem russischen Zirkus. Sie hat ihre Jungen vernachlässigt. Deshalb musste Mama Boris in Pflege nehmen, aber wir haben herausgefunden, was mit ihr los war. Ihr hat das Kunststück gefehlt, das sie immer im Zirkus gemacht hat«, erklärte ich.
»Was ist Kunststück?«, fragte Mr Valkyrie gereizt.
»Fahrradfahren«, sagte ich. »Es ist total klasse und macht sie sehr glücklich. Jetzt ist sie ganz lieb zu ihren Jungen. Mit ein bisschen Glück kann Boris bald wieder zu ihr.«
»Ich will großen Bär!«, sagte Mr Valkyrie sofort. »Ich will Bär auf Fahrrad in meinem Film.«
Weil er sich genauso anhörte wie Tori, als sie ihn neulich abends nachgemacht hatte, bekam ich einen furchtbaren Kicheranfall. Während Papa wütende Grimassen in meine Richtung schnitt, schossen Mr Valkyries buschige Augenbrauen praktisch in den Himmel.
Ich hielt mir den Bauch vor Lachen. »Es tut mir leid«, japste ich. »Es ist nur … meine Schwester …« Und schon kicherte ich wieder los. Es war eigentlich ziemlich peinlich, aber ich konnte nichts dagegen tun.
Der Regisseur wandte sich wieder Papa zu, während ich so sehr lachte, keuchte und prustete, dass es echt nicht mehr normal war. »Ich will großen Bär sofort sehen und mit Direktor sprechen. Ist Safari-Park weit?«
Papa blieb wohl nichts anderes übrig, als sich geschlagen zu geben. Er sah auf seine Uhr. »Die Fahrt dauert eine Viertelstunde, wir könnten also um halb fünf da sein. Haben Sie so viel Zeit?«
»Ich nehme Zeit«, sagte der Regisseur. »Ich rufe meinen Fahrer.«
Ich hörte schlagartig auf zu lachen. Was hatte Papa gerade gesagt? Wenn es in einer Viertelstunde halb fünf war …
Dann kam ich zu spät zu meiner Probeaufnahme!
19
Entschuldigung wofür?
»Achdulieberwombat, achdulieberwombat«, brabbelte ich vor mich hin, während ich über die matschige Wiese lief. Wie hatte ich nur den wichtigsten Termin meines Lebens vergessen können? Ich war echt ein unglaublich hohler Hohlkopf! Irgendwann einmal würde man mein Gehirn einlegen und der Wissenschaft zur Verfügung stellen. »Sehen Sie sich das hier an, verehrte Damen und Herren, ein ganz außergewöhnliches Exemplar! Auf wundersame Weise ist es der Besitzerin dieses Gehirns gelungen, ihren Alltag ganz ohne Erinnerungsspeicher zu meistern.«
Ich blieb keuchend auf dem Parkplatz stehen und sah auf meine Uhr. Schon fast zwanzig nach vier. Es war wie in einem Albtraum, in dem man dringend irgendwo erwartet wird und den Wettlauf gegen die Zeit nicht gewinnen kann. Wo musste ich eigentlich hin? Wahrscheinlich ins Haus, wo die Kaminszene gedreht worden war. Ich raste auf die Tür zu wie ein wilder Stier.
Die Leute, die in den Räumen ihre Ausrüstung zusammenpackten, hatten diesen »Und jetzt eine schöne Tasse Tee«-Ausdruck im Gesicht, wie Mama ihn immer hat, wenn ihre Tierbabys gefüttert sind und friedlich in Hasis Korb schlummern. Die Scheinwerfer wurden abgebaut, die Stative zusammengeklappt. Mir rutschte das Herz in die Hose und von da direkt in die Schuhe.
Ich sprach die nächstbeste Person mit einer Filmklappe unter dem Arm an. »Entschuldigung«, sagte ich atemlos. »Habe ich die Probeaufnahme verpasst?«
Die Frau sah mich überrascht an. »Florence hat alles, was sie braucht. Wir müssen nichts wiederholen.«
»Aber ich habe sie doch noch gar nicht gemacht!«
»Natürlich hast du sie gemacht, Schätzchen«, sagte die Frau mit der Filmklappe langsam und geduldig, wie es die Lehrer manchmal tun, wenn ich etwas nicht sofort begreife. »Du kannst mit Florence darüber reden, wenn du möchtest. Sie steht da hinten mit …« Sie hielt verdutzt inne. »Äh … wie ist das möglich?«
Ich drehte mich ruckartig um. Bei Florence stand Tori mit stinksaurem Gesicht, einer gewaltigen Lockenpracht – und dem rosa Samtkleid.
Mit meinem rosa Samtkleid.
Florence machte große Augen, als ich auf sie zumarschiert kam und meiner Schwester den Finger in die Brust bohrte.
» Was tust du da? «, fauchte ich sie an.
»Meinst du, mir gefällt es, auszusehen wie ein rosa Pudding mit Cockerspaniel-Ohren?« Tori kochte vor Wut. »Ich bin hinter Joe hergerannt, und als ich ins Haus kam, haben sie mich gepackt, mir eine Kamera vor die Nase
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