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Absolute Beginners

Absolute Beginners

Titel: Absolute Beginners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin MacInnes
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getrennt, bleibt doch immer das Band Erinnerung – ich meine, Mum wusste eine Menge über mich, so wie niemand sonst, und das hielt uns zusammen.
    »Dad ist sehr lebendig«, sagte ich. »Er macht mir überhaupt nicht den Eindruck, als ob er sterben würde. Kein bisschen tut er das.«
    »Ja, aber ich sage dir, die Ärzte haben mir gesagt …«
    »In dieser Sache nehme ich von Dad Anweisungen entgegen, und nur von Dad«, sagte ich. »Und wenn Dad je stirbt, dann gebe ich mir meine Anweisungen selbst.«
    Sie sah ein, dass die Sache damit erledigt war, und bedachte mich dafür, anders als erwartet, nicht mit einem schmutzigen Blick, sondern mit einem verwirrten, den sie nicht kontrollieren konnte, so wie sie mich erst ungefähr sechs Mal in meinem Leben angesehen hat, als wollte sie mir sagen: Welches Monster habe ich da bloß erschaffen?
    Und damit haute ich ab.
    Drunten am Fluss, wo ich hinging, um durchzuatmen, stand ich neben den großen neuen Glashochhäusern, die aussahen wie die Röntgenbilder von Gebäuden, denen man die Haut abgezogen hatte, und sah zu, wie unter ihnen auf der Themse der Schiffsverkehr vorbeizog, sehr langsam und sicher (tschug, tschug) und ölig, unter der Eisenbahnbrücke hindurch (ratter, ratter) und vorbei am Kraftwerk, das wie ein Superkino mit aufgesteckten Schornsteinen aussah. Friede, perfekter Friede, wenngleich ziemlich düster, befand ich. Tuut, Tuut, du großer Kahn, bon, bon voyage . Ich hörte vergnügtes Geschrei und drehte mich um und sah zu, wie die Kleinen, Teenager-Knospen könnte man sagen, in ihren kleinen Jeans und kleinen Pullis in ihrem Kiddie-Park aus Disneyland-Trödel spielten, der vom Stadtrat für sie errichtet worden war, um ihre verkorksten Egos geradezurücken. Doch da – krach! – schlug mir jemand sehr schmerzhaft auf die Schulterblätter.
    Ich drehte mich sehr langsam um und erblickte das teigige, von Krätze verunstaltete Antlitz von Edward dem Ted.
    »Peng, peng«, sagte ich, und versuchte den Dummkopf irgendwie bei Laune zu halten, indem ich mit Daumen und Zeigefinger wie mit einer Pistole auf ihn zielte. »Böser Junge!«
    Ed der Ted sagte nichts, sondern schaute bloß finster drein und nebelte mich mit seinem Mundgeruch ein.
    »Und was«, sagte ich, »stapfst du hier unten rum?«
    »Ch wohn hier«, sagte Ed.
    Ich blickte den Heini an.
    »Mein Gott, Ed«, rief ich, »du kannst ja reden!«
    Er kam näher, keuchend wie ein Nilpferd, und wirbelte plötzlich mit einer Schlüsselkette herum, die er in seiner Faust und der Hosentasche versteckt hatte, bis sie wie ein Flugzeugpropeller zwischen uns brummte.
    »Wie, Ed?«, sagte ich. »Keine Fahrradkette? Kein Klappmesser? Keine Eisenstange?«
    Und tatsächlich trug er auch gar nicht seine komplette Teddy-Uniform: keinen samtbesetzten Gehrock, keine Schnürsenkelkrawatte, keine zehn Zentimeter hohen Creepers – bloß diese unhygienische Frisur, fettige Locken, die ihm in seine Zweieinhalb-Zentimeter-Stirn fielen, und seine Röhrenhosen, die zuletzt in der Attlee-Ära eine Wäscherei von innen gesehen hatten. Um die Kette zum Stillstand zu bringen, versuchte er plötzlich, sie mit der gleichen Hand, mit der er sie wirbelte, zu packen, schlug sich dabei aber auf seine dicken roten Finger, zuckte zusammen und schaute verletzt und beleidigt, bald aber grimmig und trotzig, als er seine Hand und die Kette wieder in seine stinkige alte Röhrenhose steckte.
    »Bin verzohng«, sagte er, »nach hier.«
    »Und die Clique?«, fragte ich ihn. »Die ganzen berühmten Dockhead Boys?«
    »Nichti Klicke«, sagte Ed der Ted, »Blos ich.«
    Ich sollte erklären (und ich hoffe, du glaubst es mir, auch wenn es wahr ist), dass Edward und ich nur einen Steinwurf voneinander geboren und großgezogen wurden, wenn man das so nennen kann, hinter der Harrow Road in Kilburn, und zusammen herumstromerten, als wir noch kurze Hosen trugen. Dann, als das Ted-Ding schwer in Mode kam, fand Edward seine Bestimmung und schloss sich den Ted-Wölflingen an, oder wie auch immer sie sich nennen, und absolvierte später die Ted-Highschool oben an der Harrow Road bis zur allgemeinen Teddy-Boy-Reife – Schlitzaugen und Knüppel und einsilbige Wörter und dreckige Fingernägel und das alles – und verließ Mum und Dad, die ihm gebrochenen Herzens ein dreifaches Hoch! hinterherriefen, und wanderte aus, runter nach Bermondsley, um einer Gang beizutreten. Den Geschichten nach zu urteilen, die Ed mir erzählte, wenn er gelegentlich seinen Dschungel verließ

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