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Absolute Beginners

Absolute Beginners

Titel: Absolute Beginners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin MacInnes
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Silchester, Walmer, Testerton und Bramley. Du kannst sie geradezu riechen, während du durch dieses Gewirr von Häuserblocks hastest. In diesem Teil sind die Häuser alte viktorianische Bruchbuden der unteren Mittelklasse, gebaut seinerzeit schätzungsweise für Gemischtwarenhändler, Bankangestellte und Inspektoren der Pferdetram, die alle schon lange tot sind und deren Nachkommen in die äußeren Vorstädte ausgesiedelt wurden, aber diese Häuser leben als Gerippe weiter, und man kann nur eines mit ihnen tun, nur dieses eine, und zwar: sie alle abreißen, bis nicht ein einziges mehr steht.
    Im Süden dieser Gegend, unten bei W11, stehen die Dinge ein bisschen anders, aber so, dass es eigentlich noch schlimmer ist, und zwar gibt es, dank eines absurden Zufalls und wohl auch dank des geschickten Einsatzes der Immobilienmakler, ein oder zwei Abschnitte, die geradezu schick sind: nicht in Mode wohlgemerkt, aber doch ziemlich hochwertig, mit großen Gärten hinten raus und dieser völligen Stille, die in London das beste Indiz für eine respektable Lage ist. Man spaziert ein wenig durch diese Ecken, kommt gerade noch dazu, seine Krawatte zu binden und den Schuhputz zu überprüfen, ehe man – bumm! – plötzlich wieder im Slum ist –, echt, man erschrickt richtig, als würden dort, wo ein Fluss ans Ufer schlägt, zwei ganz unterschiedliche Geschöpfe von Mutter Natur Wange an Wange liegen.
    Nach Westen sind die Grenzen nicht ganz so scharf gezogen, und die ganze Gegend geht in einen eintönigen, zwielichtigen und halb-anständigen Stadtteil namens Bayswater über, und glaub mir, lieber würde ich im Sarg liegen, als hier eine Nacht zu verbringen, wenn Suze nicht wäre, die hier lebt. Nein! Dann lieber unser London-Napoli, das ich eben beschrieben habe, mit seiner Eisenbahn-Kulisse und den Straßenzügen, die sich einst elegant durchs Viertel winden sollten und nun aussehen, als schlingerten sie sinnlos dahin, mit den Häusern, die viel höher sind, als es ihrer Breite guttut, in zwanzig Mini-Wohnungen aufgeteilt, den Frontfassaden, die niemand für streichenswert erachtet, und den zerbrochenen Milchflaschen überall , die wie Schnee den Asphalt bedecken, und den Autos, die aussehen wie gestohlen oder stehen gelassen, und den merkwürdig vielen versteckten Männertoiletten, in einer Zahl wie nirgends sonst in London, und den roten Vorhängen, irgendwie in allen Fenstern, und dem kotzfarbenen Laternenlicht – Mann, ich sag’s dir, du brauchst nur eine Minute hier zu sein, und du weißt, dass irgendetwas grundlegend verkehrt ist.
    Durch dieses ganze Durcheinander schneidet diagonal noch eine weitere Bahnlinie, die hoch über diesem Slum entlangläuft wie eine Panoramabahn in einem Vergnügungspark. Junge, wenn du mal unsere alte Hauptstadt bewundern willst, solltest du eine Fahrt auf dieser Strecke unternehmen! Und genau da, wo sich diese Bahnlinie mit der großen Hauptstraße kreuzt, die die Gegend von Norden nach Süden durchschneidet, da ist ein Loch, eine Senke, ein Nest, ein wirklich unglückliches Tal, das laut meines gescheiten Dads einst ein nicht kultivierbarer Sumpf war. Ein Ort des Bösen, Mister. Ich wette, da wohnten Hexen, und viele tun es noch immer.
    Und die Bevölkerung? Die Antwort ist, dass dies hier das Obdachlosenheim unserer Stadt ist. Schlicht gesagt: Man wohnt nicht in unserem Napoli, wenn man anderswo wohnen könnte. Und deshalb gibt es auf den Quadratmeter mehr Jungs, die frisch aus dem Knast entlassen sind, Flüchtlinge, Angehörige nationaler Minderheiten und Huren außer Dienst als schätzungsweise irgendwo sonst in London. Die Kids leben auf der Straße – ich meine, sie haben die Straße in der Hand, und man muss sie um Erlaubnis bitten, selbst wenn man im Auto vorbei will –, die Teenager gehören meistens zur Gattung Ted, die jungen Dinger werden so schnell erwachsen, dass es so etwas wie ein kleines Mädchen so gut wie nicht gibt, die Männer reden nicht, blicken einen misstrauisch an und drehen niemals irgendwem den Rücken zu, ihre Frauen sind eher selten zu sehen mit ihren Geschirrtüchern, die sie als Schleier tragen, und es gibt Unmengen dieser schrecklichen, nutzlosen, negativen, demolierten alten Leute , die einem das Gefühl geben, dass es eine echte Tragödie ist, grau zu werden.
    Du denkst dir wahrscheinlich, na, wenn du so clever bist, Kiddo, warum wohnst du dann in einer solchen Gegend? Also dann, wie steht’s in einer gewissen Abendzeitung immer: »Ich sag’s

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