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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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eine Veränderung in Marks Haltung wahr, als brauchte sein Geist ein juristisches Problem, das es zu lösen galt und das seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, um diese Begegnung mit seiner Mutter besser zu ertragen.
    »So hatte ich das nie betrachtet. Das größte Vergehen war der Angriff auf den, der die Wahrheit sagte – den Machtlosen, der durch das Aussprechen der Wahrheit nichts zu verlieren hat oder der alles zu verlieren hat, aber nicht weiß, was, und daher die Wahrheit sagen muss .«
    »Was ist mit dem Jungen geschehen?«
    »Soweit ich mich erinnere, wurde er ins Haus gebracht und sein Gesicht mit kalten Umschlägen gekühlt, er bekam süßen Tee und ein Stück vom Reservekuchen, den Tante Frances gemacht hatte, falls der erste nicht reichen sollte. Dieser andere Kuchen war versteckt gewesen, sicher aufgehoben im Trockenschrank. Es gab genug davon und wir rissen uns Dorothy zuliebe zusammen. Doch Nora verschwand mit meinem Vater. Ich weiß nicht, ob er sie geschlagen hat. Vermutlich nicht. Meine Eltern haben mich nie körperlich gezüchtigt und ich kann mich nicht erinnern, dass sie es je bei Nora taten. Vermutlich unterzog mein Vater sie vielmehr einer von seinen philosophischen Befragungen, die oft genauso wehtaten wie Schläge, weil sie einem das Gefühl verschafften, völlig entblößt zu sein, sich nicht verstecken zu können und nicht mehr, wie von uns erwartet, das ideale Kind sein zu können. Aber auch wenn man das nicht mehr war, so blieb man doch immer noch ein Mensch. Mein Vater wusste, wie man die Grenze nicht überschritt, indem er uns unsere Fehler klarmachen konnte, ohne das Gefühl für unsere Menschlichkeit zu zerstören. Nach meiner Heirat und besonders nach deiner Geburt wurde das Verhältnis zwischen Nora und mir noch viel schlechter. Die Frage ist also, habe ich letztlich getan, was ich getan habe, wegen all der Quälereien, die Nora mir zumutete, oder weil ich glaubte, etwas zu einem moralischen und politischen und demokratischen Kampf beitragen zu können? Politisch oder persönlich?«
    »Und was ist es denn nun, dessen du dich schuldig gemacht zu haben meinst?«
    Obwohl das Haus warm war und der Tag heiß gewesen, lief Clare ein kalter Schauder über den Rücken. Sie hatte nie jemandem erzählt, was sie getan hatte, nicht einmal ihrem Mann, ganz bestimmt nicht ihren Eltern, die entsetzt gewesen wären und ihr vielleicht nie verziehen hätten. Nur die Menschen, die ihr Vergehen miterlebt hatten, mussten Bescheid gewusst haben und sie hatte schon seit Langem die Verbindung zu ihnen verloren; die Angelegenheit war weder im Prozess des vermutlichen Attentäters herausgekommen noch in den Anhörungen der Wahrheitsfindungskommission.
    »Ich habe Noras Aufenthaltsort verraten. Ich habe jemandem, der das nicht erfahren sollte, mitgeteilt, wo sie und Stephan in einer bestimmten Nacht sein würden. Die Information wurde genutzt, und wie du weißt, wurden sie im Bett ermordet. Lange Zeit glaubte ich, es sei bloße Gedankenlosigkeit von mir gewesen und der Wunsch, von Leuten, die ich respektierte und nicht wenig fürchtete, für wichtig gehalten zu werden. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr komme ich aber zu der Auffassung, dass ich genau wusste, was ich tat – ich wusste, wie die Information genutzt werden würde und was die Konsequenzen sein würden. Im Rückblick erschien mir die Entscheidung in gleichem Maße politisch wie persönlich. Stephan war mächtig und hatte die Macht, Böses zu tun. Mit seiner Beseitigung meinte ich einen Schlag gegen das gesamte Gebäude des Apartheid-Staates auszuführen. Nora war ein Kollateralschaden, wie man jetzt sagt. Ihre politische Rolle war unbedeutend und weitgehend symbolisch.«
    Clare beobachtete, wie Mark sich abmühte, sie anzusehen, sich stattdessen umwandte und in den hell erleuchteten Garten starrte. Weil sie hoffte, seinem Blick im Fensterglas, wenn schon nicht direkt, zu begegnen, drehte sich Clare in dieselbe Richtung. Die Beleuchtung des Gartens und Pools war an eine Zeitschaltuhr angeschlossen und erlosch ohne Vorwarnung plötzlich, sodass beide einander in der reflektierenden dunklen Oberfläche der Speisezimmerfenster anstarrten.

CLARE
    Als ich heute Vormittag mit Adam in meinem Gemüsegarten arbeite und den Boden für eine Aussaat von Salatsamen vorbereite, störe ich versehentlich eine Ameisenkolonie auf, die wie entflohene Gefangene auf mich zurennen, auf meine Sandalen kriechen und mich in die Füße und Knöchel beißen, bevor ich

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