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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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gelben Textmarker eine Wellenlinie, uns so als Feiglinge und Schwätzer kennzeichnend. Ich habe geweint, als ich diese gelben Wellenlinien gesehen und durch diese Kennzeichnung verstanden habe, was du von mir hieltest.
    Ich steckte den Ordner wieder in dein Bett zurück und sprach nie mit dir oder deinem Vater darüber, in der Hoffnung, dass du dein Gespür für Ungerechtigkeit und was ich jetzt allmählich als dein Gespür für Provokation begreife in etwas Kreatives ummünzen würdest. (Wo ist dieser Ordner hin? Nachdem du von zu Hause fortgegangen bist, habe ich ihn nie wieder gesehen und ihn auch nach deinem Verschwinden nicht unter deinen Sachen gefunden.) Es klingt nach Eitelkeit, wenn ich sage, dass ich mir gewünscht hätte, du wärst wie ich, ja, oder wie dein Vater, der seinen Zorn in leidenschaftliche Erforschung, Befragung und Erläuterung des Rechts lenkte. Und deshalb war ich erfreut, als du Journalistin wurdest, war erleichtert, dass du auf dem Papier deine Meinung sagen konntest, und hoffte unvernünftigerweise, du würdest nichts tun, was dich gefährdete. Du würdest etwas Gutes tun! Du würdest Ungerechtigkeit anprangern! Du würdest mit Worten kämpfen!
    Ich erinnere mich, wie du bei den seltenen Gelegenheiten, zu denen wir dich nach deiner Rückkehr nach Kapstadt zu sehen bekamen, schnell frustriert und zornig wurdest. Ich konnte erkennen, dass du zu der Auffassung kamst, du müsstest unbedingt etwas Unmittelbareres tun, als nur Nachrichten zu verbreiten, das wenige, was du sagen durftest. Stattdessen warfst du dich in das Inferno und wütetest, solange du konntest, branntest als heiliges Feuer, eine reinigende Flamme, die über dieses Land raste und das helle Gras verkohlte.
    So verstehe ich es: Du hattest das Gefühl, du könntest dir kein Gehör verschaffen, du glaubtest, du hättest keine andere Wahl, als zu handeln, deinen Füllfederhalter zuzuschrauben und die Tasten deiner Schreibmaschine verstummen zu lassen, die Tinte trocknen und die Farbbänder verrotten zu lassen, die staatlicherseits beschränkte und behinderte Arbeit des Wahrheitverkündens anderen, geduldigeren Menschen zu überlassen. Ich verstehe diese Entscheidung. Ich verstehe, dass dein Vater und ich auf irgendeine Weise eine Frau herangezogen hatten, die nicht zufrieden damit war, zu tun, was sicher war, am wenigsten, was ihr befohlen wurde. Ich verstehe dein Gefühl, keine andere Wahl zu haben, als zu handeln.
    Aber wir haben dir nie beigebracht zu töten.
    Als ich mich heute wieder deinem Notizbuch zuwende, entdecke ich eine Seite, die sich unerklärlicherweise mit Rick Turner beschäftigt, dem Philosophen und Aktivisten, der, nachdem er fast fünf Jahre als Verbannter gelebt hat, in seinem Haus ermordet wurde, von einer durch ein Fenster gefeuerten Kugel getroffen. Als ich hier Notizen über ihn von deiner Hand finde, durchfährt mich ein eisiger Schrecken. Turner ermutigte Weiße zum aktiven Widerstand und blitzartig begreife ich, wie er und sein Aufruf zum Handeln für dich vielleicht der Anstoß gewesen sind, den du brauchtest, der dich aus der Selbstzufriedenheit heraus direkt in den bewaffneten Kampf getrieben hat, obwohl du noch ein Kind warst, als er getötet wurde.
    Ich frage mich jedoch, ob es so einfach sein kann. Deine Notizen sind eher eine Zusammenstellung bekannter Fakten über den Fall und Turners unaufgeklärte Ermordung als die Art Gedanken, die man niederschreibt, wenn man von einem Helden oder Märtyrer inspiriert wird. Es wirkt beinah, als hättest du eine gründliche Untersuchung vorbereitet, als hättest du schließlich entdeckt, wer Rick Turner war – nicht bloß ein Freund von einem Freund der Familie, jemand, der zur Zeit seiner Ermordung Gesprächsstoff bei Tisch gewesen war, sondern ein Mann mit eigener Geschichte, ein anderes Modell für das Leben als Weißer in diesem Land, als es dein Vater oder ich dir je bieten konnten.

1999
    Sam war schon seit einer halben Stunde wach und hatte keine Ruhe mehr gefunden unter der Wintersteppdecke, die vor Kurzem aus dem Schrank aufgetaucht war, als Sarah ihm dort für seine paar Sachen Platz machte. Sie musste auch wach gewesen sein, denn als das Telefon klingelte, nahm sie es beim ersten Ton zur Hand.
    »Darf ich sagen, wer dran ist?« Ihre Stimme klang erstickt, als sie sich am Satzende hob. Sarah wandte sich zu ihm und sprach im Flüsterton, wobei sie die Stirn runzelte: »Es ist die Polizei. In Beaufort West. Aber ich verstehe nicht ganz, was der Mann

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