Absolution - Roman
und Sit-ups und führtest darüber Buch. Du zeichnetest akribisch alles auf, was du aßest, als würdest du für die Olympischen Spiele trainieren. Du kauftest eine Waage und wogst dich jeden Morgen.
An einem Abend halfst du Peter, in der ganzen Stadt Stapel von Flugblättern zu verteilen, und hofftest dabei, dass man dich nicht erwischt. Wenn die Staatssicherheit dieses Notizbuch entdeckt hätte, wären die spärlichen Einzelheiten, die du von diesem einzigen Abend notiert hattest, der einzige Hinweis darauf gewesen, dass du in etwas Verbotenes verwickelt warst. Du drückst dich so vorsichtig aus, dass ich mich manchmal frage, ob das deine Worte sind oder vielmehr die eines anderen, der deine Handschrift kopiert und dich als seine Marionette benutzt.
Alle diese Dinge, die du uns nicht erzählt hast, als sie geschahen, weil du wusstest, dass wir dich beschworen hätten, vorsichtig zu sein, auf dich aufzupassen, nichts Unüberlegtes zu tun. Wir haben nie die Worte gefunden, die du hören wolltest. Ich kann mich an einen Sonntag im Herbst jenes Jahres erinnern, als du dich herabließest, zum Essen nach Hause zu kommen. Das war das erste Mal, dass ich dich gesehen habe, seit du wieder in die Stadt gezogen warst. Als ich dich gefragt habe, ob ich dich in deiner Wohnung besuchen könnte, hast du Ausflüchte gemacht – sie sei nicht aufgeräumt, hast du gesagt, und ich würde mich da nicht wohl fühlen. Damals wohnte Mark in Johannesburg, deshalb saßen nur wir drei im Esszimmer bei der Mahlzeit. Dein Vater fragte dich, ob du viele Freunde bei der Zeitung gefunden hättest.
»Ich habe eine deiner ehemaligen Studentinnen kennengelernt, Ilse. Sie ist freie Journalistin.«
William versuchte, gleichgültig zu wirken, erinnere ich mich. »Ach ja? Wie geht es ihr?«, fragte er und schaute auf seinen Teller.
»Sie ist verheiratet«, hast du gesagt. Ich wusste, was das bedeutete, und habe mich damals gefragt, ob du es auch gewusst hast. Ich sorgte für ein schnelles Beenden der Mahlzeit und verabschiedete dich.
Ich frage mich jetzt doch, ob ich dich für jedes Geheimnis, das du mir gegenüber hattest, hasse.
Während einige deiner Kollegen verhaftet wurden, ohne Verfahren eingesperrt, wegen Straftaten angeklagt, die sowohl absurd als auch geringfügig waren, wurdest du von dem Chaos nicht berührt, wie die meisten von uns, sicher in unseren weißen Straßen. Du bist nie über das unbedeutende Berichten von »Vermischtem« hinausgekommen, während andere sich in Wolken von Tränengas stürzten und darum kämpften, so viel Wahrheit zu berichten, wie sie es unter den immer drastischeren Einschränkungen und Vorschriften, die von der Regierung gegen die Presse erlassen worden waren, konnten. Einige bekamen Geldstrafen, andere verbrachten Monate und sogar Jahre im Gefängnis, etliche starben. Wieder andere hatten das Glück, mit verwüsteten Häusern und anonymen Drohungen gegen ihr Leben davonzukommen. Die Herausgeber deiner Zeitung, deren Leben und Familien ebenfalls bedroht waren, schrieben Berichte um, sodass sie mehr vernebelten als enthüllten. Uns, die wir solche Berichte lasen, war es überlassen, die Bruchstücke zusammenzufügen und durch die Auslassungen und Verdunkelungen (zum Beispiel die surrealen Bekundungen, die Einzelheiten und der Zweck einer Versammlung hätten nicht ermittelt werden können, auch wenn es eine solche definitiv gegeben hatte) zu erkennen, dass eine friedliche Demonstration in der Adderley Street stattgefunden hatte und mit der Gewalt von Polizeikugeln beantwortet worden war.
Und doch hast du, Laura, weiter deine Geschichten über erstaunliche Wunderkinder und außergewöhnliche Hausfrauen verfasst. Vielleicht wird man mich schließlich mit etwas Wichtigerem betrauen , hast du in dein Notizbuch geschrieben.
Doch eine Beförderung und größere Freiheiten kamen nie. Du trafst dich mit Peter und Ilse und ihrem Kreis von Freunden und Vertrauten. Privat hast du weiter Notizen über Rick Turner zusammengetragen, und als du dieses Thema erschöpft und keine Antworten gefunden hattest und nicht wusstest, wo du dich auf der Suche nach der Wahrheit noch hinwenden solltest, hast du deinen Blickwinkel erweitert. Ich las voller Entsetzen: Ungeklärte Todesfälle. Robert Smit. Rick Turner. Stephan Pretorius. Nora Boyce Pretorius. Von einem Individuum kamst du zu einem Thema, warst besessen von den Toten, auf welcher Seite sie auch gewesen waren.
Doch anders als bei Smit oder Turner, deren Tod objektiv
Weitere Kostenlose Bücher