Absolution - Roman
Tag für die 450 km nach Beaufort West, dem Ort, der sich nie wie Heimat angefühlt hatte, in dem Sam aber nun dem Gesetz nach ein Haus besaß. Kurz vor der Abbiegung zum Karoo-Nationalpark übernahm er wieder das Steuer und arbeitete sich im Schritttempo in die Stadt vor.
»Ein km/h über der erlaubten Geschwindigkeit und sie halten dich an«, sagte er. »Wenn wir angehalten werden, möchte lieber ich am Steuer sitzen.«
Das Haus sah noch so aus wie vor einem Jahr. Eine Fülle weißer Pelargonien blühte und der Rasen war kürzlich gemäht worden. Nur der Staub auf dem Weg, noch mehr Staub und verwelkte Bougainvilleablätter auf der Veranda und ein Staubfilm auf den Fenstern und Rollläden verrieten einige Tage Achtlosigkeit. Sam fuhr mit dem Finger den Türrahmen entlang und gelbbrauner, pudriger Staub blieb daran kleben. Die Natur würde mit atemberaubender Geschwindigkeit die Oberhand gewinnen. Man musste in jeder Beziehung wachsam sein.
Als er die Haustür öffnete, arbeitete sich der Geruch nach und nach in seine Nasenflügel, und als er dann festsaß, ergriff er seinen gesamten Körper und presste ihn in einer schrecklichen Umarmung. »Warte hier«, sagte er keuchend und ließ Sarah im Hausflur zurück. Es war der Geruch von überhitztem Blut, von Kot und Urin, Staub und Schießpulver und ausgekippten Schubkästen. Zunächst sah er nur chaotische Einzelheiten in Ellens Schlafzimmer, mit einem Rorschach-Fleck zweier blökender Ziegen in der Mitte, die Stelle einer Explosion markierend. Wenn die Polizei hier gewesen war, um Spuren zu sichten, war das nicht zu erkennen. Ein einziges Tohuwabohu, durcheinandergeworfene Gegenstände, irreversibles Chaos. Er erinnerte sich daran, wie sein eigenes Zuhause ausgesehen hatte, nachdem es von der Polizei auseinandergenommen worden war.
Er konnte nicht anders, als die Situation durch eins der jüngsten Bücher von Clare zu sehen, in dem ein Farmer vom Wochenendbesuch einer Agrarausstellung nach Hause zurückkommt und die zerstückelte Leiche seiner Frau auf ihrem Bett so arrangiert vorfindet, dass die Gliedmaßen ein Fragezeichen bilden.
Der Rorschach-Fleck veränderte sich plötzlich und offenbarte sich als dreiköpfiger Hund in einer Gasse zwischen zwei Häusern. Man hatte ein Fenster offen gelassen und der Luftzug wehte Staub und Bewegung herein. Er ging vorsichtig durchs Zimmer, packte das Fenstergitter, das mit einer Sandschicht bedeckt war, und schaute in den Garten hinaus. Das Fenster schloss sich mit einem Geräusch, als fiele ein Bücherstapel um, während der Staub auf dem Fensterbrett bebte und sich wieder setzte. Er schaute erneut auf den Fleck, atmete flach und spürte aufsteigende Übelkeit. Das musste bis zum nächsten Tag warten. Er schloss die Tür hinter sich. »Hier ist keiner«, rief er Sarah zu und merkte, wie töricht diese Aussage war.
Sam und Sarahs Nummer war auf einem an den Kühlschrank geklebten Zettel gewesen, als erste einer Liste von im Notfall anzurufender Nummern, gefolgt von Ellen Leroux’ Arzt, Kollegen an ihrer Schule, ein paar Freunden und Frauen von der Kirchgemeinde. Es war eine kurze Liste. Sam war ihr einziger Angehöriger, und als er auf die anderen Namen blickte, von denen ihm die meisten wenig sagten, wurde ihm bewusst, dass er nun völlig allein auf der Welt war. Es gab keinen mehr, den er mitten in der Nacht anrufen konnte, keinen, zu dem er heimkehren konnte, keinen, der durch die Macht der Verwandtschaft, wenn nicht des Gesetzes, gezwungen wäre, eine Verantwortung ihm gegenüber anzuerkennen. Zuhause war nur noch ein Haus, das ihm gehörte, menschenleer. Das Blut klopfte ihm gegen das Trommelfell; dass er wieder ohne Heimat war, erfüllte Sam mit einer neuen Art von Entsetzen.
»Warum sind Schlösser am Kühlschrank und an den Schränken?« Sarah stand mitten in der Küche und wirkte hungrig und verängstigt. In seinem Rucksack fand Sam einen Beutel mit einem halben Dutzend Schlüsseln.
»Ich weiß nicht, welcher wo passt«, sagte er. »Du wirst sie wohl alle ausprobieren müssen. Ich glaube, der goldene ist für den Kühlschrank. Die Schränke haben jeder einen verschiedenen Dietrich.«
»Sie sind nicht zugeschlossen, Sam. Ich verstehe nur nicht, warum es diese Schlösser gibt.«
»Damit deine Hausangestellte keine Lebensmittel stiehlt. Es ist nicht unüblich. Ich vermute, die Schlösser an den Schränken sind etwas ungewöhnlich, aber du hättest Mühe, hier im Land einen Kühl- oder Gefrierschrank zu kaufen ohne
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