Absolution - Roman
Abschrift meiner Interviews mit Clare. Ich finde eine Form für das Buch – einen Rhythmus, der zwischen dem historischen Bericht ihres Lebens und der kritischen Analyse ihrer Romane abwechselt – und eine Stimme, die ihrer eigenen – dem kühlen Ton und der zuweilen zornigen Förmlichkeit, dem trockenen Provozieren und Zurückweisen – so nah ist, wie es mir beim Schreiben gelingt. Ich beende einen Entwurf der ersten beiden Kapitel, das eine über die englischen Siedler-Vorfahren auf beiden Seiten ihrer Familie und das andere über ihren ersten Roman Landing . Für mich war Landing bisher immer ein Buch über eine Frau, die aus ihrem lähmenden Leben auf einer Farm in Lower Albany ausbricht, um in einer Reihe von Höhlen an der Tsitsikamma-Küste zu leben – ein feministisches Zurückweisen der geschlechtstypischen Normen und Erwartungen und des Ehemanns, der sich ihr aufdrängt, und eine Umarmung der natürlichen Welt. Als ich es jetzt erneut lese, erkenne ich, dass das Buch nur an der Oberfläche von diesen Dingen handelt. Auf einer tieferen Ebene handelt es von der Zurückweisung der Privilegien, die die Apartheid Weißen verlieh und festschrieb. Die Heldin, Larena, nimmt dagegen eine Outlaw-Position ein, indem sie außerhalb der Reichweite des Gesetzes lebt, unsichtbar für den Staat, und sich nur von ihrem eigenen Gespür für Ethik und Moral leiten lässt. Ich lese es wieder und stelle mir Laura als junge Frau vor, wie sie über diesen Text nachdenkt und darin ein nach vorn weisendes Echo für sich findet und auf seinen Seiten die Landkarte für eine Route entdeckt, die sie einschlagen kann.
Mai. Sarah ist es gelungen, die Herausgeber ihrer Zeitung davon zu überzeugen, dass das Festival einen Sonderbeitrag wert ist, daher begleitet sie mich nach Stellenbosch (genau genommen brennt Sarah darauf, Clare kennenzulernen, weil sie mich seit Jahren endlos von ihr reden gehört hat). Die Veranstaltungen finden von Freitag bis Sonntag statt und ich habe ein privates Treffen mit Clare am Sonnabend vereinbart. Donnerstagnachmittag fliegen wir nach Kapstadt. Das Flugzeug ist gestopft voll mit der Sportmannschaft einer Johannesburger Mädchenschule. Die Mädchen tragen identische T-Shirts und die meisten von ihnen benehmen sich, als wären sie noch nie in einem Flugzeug gewesen: Sie rennen in der Kabine herum, reden laut und fangen zu singen an, vermutlich ein Mannschaftslied. Die erwachsenen Betreuer und die Flugbegleiter rufen sie nicht zur Ordnung. Ich beschwere mich bei einem der Betreuer, der mir sagt, ich solle mich einfach beruhigen und schlafen. Beim Landeanflug auf Kapstadt rudeln sich die Mädchen alle auf einer Seite des Flugzeugs zusammen, um einen Blick auf den Berg und die Stadt zu erhaschen. Es fühlte sich an, als könne das Flugzeug das nicht verkraften, als wäre die einseitige Belastung am Ende zu viel und wir würden ins Trudeln geraten und in mein altes Viertel hineinstürzen.
Auf dem Flughafen besorgen wir uns ein Auto und fahren bis Stellenbosch durch; nach der riesigen Ausdehnung und der Modernität von Johannesburg wirkt die alte Stadt wie eine Oase aus einer historischen Fantasie, die Disney-Version vom Kap im 18. Jahrhundert, mit seinen weiß getünchten Restaurants und Cafés und Weinbars. Ich versuche mich beim Abendessen zu entspannen, merke jedoch, wie die Anspannung in mir wächst. Ich weiß, das ist die Chance, alles vor Clare auszubreiten, unsere beiderseitige Vergangenheit auf den Tisch zu legen und zu entscheiden, was sie bedeutet.
Freitag. Clare ist eine der für das heutige Abendprogramm vorgesehenen Autoren, das in einem modern-nüchternen Hörsaalgebäude der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität stattfindet. Von den zwei anderen Autoren ist der eine Australier, jetzt in San Francisco ansässig, der andere ein in Kapstadt lebender Simbabwer. Clare ist als Letzte mit Lesen dran, und sie hat eine lange Passage ziemlich am Anfang von Absolution ausgewählt.
Seltsam zu beobachten, wie Clare über sich spricht oder über ein fiktionales Selbst, in der dritten Person, doch ich sehe allmählich wieder die Frau, der ich in Amsterdam begegnet bin, und durch den Lesevorgang wird sie eine andere Frau als die, die ich in Kapstadt kennengelernt habe. Beide Identitäten und das im Buch beschriebene Selbst, wenn jenes Selbst für sich steht, alle scheinen sie gleichzeitig zu existieren. Ich glaube, jede dieser Identitäten über ihr Gesicht huschen zu sehen, für einen
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