Absolution - Roman
Kritik. Ich erkenne das voll und ganz. Aber es ist die Wahrheit, und obwohl es mich eigentlich immun machen sollte, ist daran auch etwas Belastendes, nicht wahr? Als hätte ich das so von Anfang an geplant – als eine Absicherung dagegen, dass ich jemals für meine Arbeit als Zensor zur Rechenschaft gezogen werden würde. Sehen Sie , hätte ich dann sagen können, ich habe ja vielleicht ein Buch verboten, aber es war nur eins meiner eigenen. In diesem Alter habe ich wohl nicht ganz so taktisch gedacht, fürchte ich. Wenn überhaupt eine Absicht damit verbunden war, dann war es ein Experiment. Und das Experiment schlug gewissermaßen fehl, als mir das Buch zur Begutachtung übergeben wurde. Irgendein anderer Zensor hätte es lesen und zu dem Schluss kommen können, es durchgehen zu lassen, obwohl ich mir das nicht vorstellen kann. Oder man hätte es gelesen und sich gesagt: Das ist unbestreitbar das Werk von Clare Wald. Obwohl das noch unwahrscheinlicher ist, weil das Buch keinerlei Ähnlichkeit hatte mit allem, was ich sonst geschrieben hatte, und nicht zuletzt deshalb, weil Clare Wald damals keinen unverkennbaren Stil, keine eigene Handschrift hatte. Meine ersten Bücher waren alle so verschieden. Damals war Clare Wald zu jung, um bekannt oder wiedererkennbar zu sein. Da haben wir’s – Sie haben mich dahin gebracht, dass ich über mich in der dritten Person rede«, sagt sie und hält mir die Tasse zum Nachschenken hin. Sie lächelt ein beinah mitfühlendes Lächeln, doch ich habe gelernt, meinen Interpretationen ihrer Gefühlsregungen nicht zu trauen. Ihr Gesicht sagt das eine und sie denkt vielleicht etwas ganz anderes.
Der Nachmittag verstreicht, und während ich mich auf die unmittelbare Aufgabe zu konzentrieren versuche, mich Punkten zuwende, die wir schon früher besprochen haben, und einige Bereiche kläre, die immer noch vage geblieben sind, denke ich die ganze Zeit an Laura, daran, was ich über sie erfahren habe, und daran, wie ich auf Clares Veranda in ihrem alten Haus gestanden habe. Ich schaue Clare an und sehe ihr jüngeres Gesicht, hinter dem Fliegengitter, und auch das Gesicht ihrer Tochter habe ich vor meinen Augen, wie ich es zuletzt in den Bergen oberhalb von Beaufort West gesehen habe. Wenn wir beide für Augenblicke schweigen, versuche ich zu verstehen, was Lauras Fürsorge für mich im Licht von Timothys Enthüllung bedeutet, doch ich komme zu keinem Schluss. Ich weiß nur mit Sicherheit, was ich erlebt und was ich beobachtet habe. Ohne Beweise ist alles andere Hörensagen und Mutmaßung.
Clares Miene gleitet allmählich in jenen Ausdruck der Frustration, den ich inzwischen so gut kenne. Ich enttäusche sie, aber wenn sie möchte, dass ich sie nach meinem Platz in ihrem Leben frage, dem Platz, den es beinah gegeben hätte, so kann ich mich immer noch nicht dazu überwinden. Die Furcht vor ihrer Antwort reicht aus, um mich über diesen Punkt schweigen zu lassen. Wenn sie mir doch ein konkretes Zeichen geben würde, dass sie sich an diesen Tag erinnert, an dem ich auf ihrer Schwelle stand.
»Sie haben vielleicht schon erraten, dass meine zweite Frage Nora gilt.«
»Ja, ich dachte mir, dass sie darauf zurückkommen würden.«
» Absolution ist Fiktion –«
»Ich wollte es nicht so nennen. Der Verlag hat darauf bestanden. Es ist leichter, einen Roman zu verkaufen als eine seltsame Mischform aus Essay, Fiktion, Familien- und Landesgeschichte, obwohl es eigentlich das Letztere ist – sowohl Fiktion als auch etwas anderes, keine reine Fiktion, aber auch keine Geschichtsschreibung, keine echten Memoiren. Deshalb habe ich gesagt, ich glaube nicht, dass es den Platz Ihres eigenen Buches einnehmen würde.«
»Das Geständnis von Ihrer Rolle bei Noras Ermordung ist demnach – was? Fiktion oder keine Fiktion?«
»Das zu entscheiden überlasse ich Ihnen, Samuel. Sie wissen ja, dass ich es hasse, meine eigenen Texte zu erklären. Ich will nur sagen, dass es keinen Beweis für eine der beiden Schlussfolgerungen gibt – dass die historische Clare Wald Beihilfe zur Ermordung der historischen Personen Nora und Stephan Pretorius leistete oder nicht, wobei die historischen Personen von den fiktionalen Analogien aller drei genannten Individuen unterschieden werden müssen. So würde ich jedem nahelegen, die Charaktere in diesem Buch zu interpretieren.«
»Und die Perücke? Hat der Einbruch tatsächlich stattgefunden?«
»Er war real. Die Perücke wurde gestohlen und wiedergefunden – mehr oder
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