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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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Einfühlungsvermögen oder aus einem besonderen Blickwinkel zu beschreiben. Protestromane und Reportagen und Pornografie wird es immer geben. Man könnte behaupten, dass die Tyrannei des Zensors mein Schreiben in gleichem Maße antrieb, wie es seinen Rahmen bestimmte. Mein schriftstellerisches Werk ist wenigstens zum Teil geprägt durch die Position, die der Zensor in meiner Vorstellungskraft einnahm.«
    »War der Zensor in Ihrer Vorstellungskraft personifiziert?«
    »Warum?« Sie wirkt verblüfft; die Frage scheint sie zu überraschen.
    »Ich habe mich gefragt, ob Sie sich den Zensor als eine Person vorgestellt haben, statt als Abstraktion oder als Wurm, wie Sie letzte Woche geäußert haben.«
    »Ja, allerdings«, sagt sie – diesmal ohne Zögern.
    »Könnten Sie sagen, wie er, oder sie, aussah?«
    »Warum?«
    »Aus Neugier.«
    »Der Zensor, die Zensorin, war mir ähnlich. Sie war eine verinnerlichte Doppelgängerin, die mit einem blauen Stift, der zur Attacke gezückt war, dicht hinter meinem Rücken schwebte. Ich habe oft gedacht, dass ich, wenn ich ganz still an meinem Schreibtisch sitzen und schreiben und mich plötzlich umdrehen würde, sie dort sehen könnte, dicht hinter mir. Sie werden mich für krank halten«, sagt sie, und es klingt, als amüsierte sie ihr eigenes Geständnis. »Das ist wirklich eine gute Frage. Keiner hat mich das bisher gefragt. Ich nannte sie Clara – die zensierende Hälfte meines Gehirns. Keine Hälfte – vielleicht ein Viertel oder ein Achtel, das Stückchen, das ich ihr zugestand, das Stückchen, das sie beanspruchte.«
    »Clara?«
    »Der Name klang für mich selbstgefällig. Eine selbstgefällige kleine Hausfrauen-Zensorin, die zu wissen glaubt, was Literatur ist. Was ich immer befürchtete – « Sie bricht ab und hebt die Hände. »Schalten Sie Ihr Gerät aus.« Ich stelle es ab und lege den Stift aus der Hand. »Was ich immer befürchtet habe … Ich bin nur eine selbstgefällige kleine Hausfrau, die zu wissen glaubt, was Literatur ist. Im Gegensatz zu Ihnen habe ich keinen Doktortitel. Ich gehöre einer Generation von Akademikern an, denen ein erster akademischer Grad genügte, um eine Karriere aufzubauen, und einer Generation von Schriftstellern, die nicht auf einer Schule gelernt haben, wie man Geschichten erzählt. Ich frage mich oft, zu welchem Anteil ich Clara die Oberhand gelassen habe. Mehr als ein Achtel? Mehr als die Hälfte?« Sie blickt mich unverwandt an und schüttelt den Kopf. »Ich weiß es nicht, das ist es eben.«
    Der Gärtner, der anscheinend jeden Tag hier ist, zieht ihre Aufmerksamkeit von mir ab. »Was soll man mit einem solchen Menschen machen? Ich weiß überhaupt nicht, was ich tun soll. Ich möchte nicht für grob gehalten werden, sogar von ihm nicht. Besonders von ihm – von seinesgleichen, meine ich. Ich möchte nicht so sein, wie meine Mutter war. Ich will nicht die herrische weiße Madam sein, die sich den Dienern gegenüber einfach autokratisch gebärden muss. Selbst das – mir ist klar, was ich damit verrate, dass ich sie Diener statt Personal nenne. Glauben Sie nicht, ich wüsste das nicht. Aber was soll man machen? Das hier ist Leben auf dem Feudalgut. Ich möchte ihm sagen, er soll verschwinden und nicht wiederkommen. Ihn feuern , wie die Amerikaner sagen – so eine gewaltsame Art, eine berufliche Beziehung zu beenden, die Entlassenen verbrennen oder auf sie feuern, sie exekutieren. Aber ich weiß nicht, wie ich ihn feuern soll. Meine Mutter hat mir nicht beigebracht, wie man eine Beziehung beendet – irgendeine Art von Beziehung. Was soll man tun? Wenn ich ihn feuern würde, wie viele Leben würde ich damit gefährden?«
    Ich schüttele den Kopf und ziehe die Schultern hoch. »Ich habe gar keine Erfahrung mit Personal. Ich habe keine Ahnung, wie man eine Beziehung beendet. Ich bin nie weisungsbefugt gegenüber einer anderen Person gewesen.«
    »Ich weiß nicht, ob ich das glauben soll«, sagt sie und schaut mich wieder an. »Gut, machen wir weiter. Sie können Ihr Aufnahmedings wieder anschalten, Darling.« Habe ich mir das Darling eingebildet? Nein, ich habe es deutlich gehört. Auf dieses Wort habe ich gewartet, ohne zu wissen, dass ich es hören wollte. Meine Brust durchflutet es heiß. Darling, Darling . Ich sortiere Papier, um Zeit zu gewinnen, und spiele am Aufnahmegerät herum. Darling . Ich versuche, mich zu fassen.
    Ich erfinde eine Frage.
    »Glauben Sie, dass andere Schriftsteller in diesem Land sich als ihre eigenen

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