Absolution - Roman
Zensoren vorstellten?«
»Wie soll ich das wissen? Fragen Sie sie«, sagt sie kühl. Es ist, als hätte das Gespräch von vor wenigen Augenblicken nie stattgefunden. Es war inoffiziell. Das aufgezeichnete Gespräch ist etwas anderes. Ein anderes Register ist gezogen, eine andere Art Vertrag gilt. In dem aufgezeichneten Gespräch ist kein Platz für Darling .
Das Sonnenlicht bricht in das Zimmer herein, reflektiert von den Fenstern des Nachbarhauses. Sie lässt die Jalousien herunter, kehrt an ihren Schreibtisch zurück, um wieder Papiere umzuschichten, als hätten wir uns auf einen Code geeinigt: Papiere sortieren heißt Zeit erkaufen und nicht etwa, vorzutäuschen, man sei anderweitig beschäftigt. Oder ich beginne es jedenfalls so zu interpretieren. Ohne hochzublicken, spricht sie.
»Wollen Sie mich nicht über meine Kindheit befragen?« Mit drei Fingern schiebt sie sich das Haar aus dem Gesicht.
Ich möchte noch einmal hören, wie sie mich Darling nennt, ja, das möchte ich. Ich möchte, dass sie mich am Ende jeder Zusammenkunft umarmt, mir den Kopf tätschelt, mir sagt, dass ich gute Arbeit leiste. Sie lockt mich mit einem Foto von sich als Mädchen auf einem Pferd, irgendwo auf einer Farm in der Karoo.
»Ich dachte, in Ihrem Leben sei kein Schlüssel für Ihre Prosa zu finden«, versuche ich, ihre Neckerei zu erwidern.
»Das stimmt, aber Sie schreiben doch eine Biografie, oder? Sollten wir da nicht über mein Leben statt über mein Werk sprechen? Oder was ist das für eine Biografie?«
»Wie Sie schon sagten, der größte Teil Ihres Lebens ist der Öffentlichkeit bekannt.«
»Wenn nicht mein eigenes Leben, dann das der Menschen um mich herum.«
Wir verbringen weitere zwei Stunden damit, über die Themen ihrer Werke zu sprechen, die Texte zeitlich einzuordnen, offenkundige Anklänge an ihr Leben zu erkunden, die sogar sie zuzugeben bereit ist, und dabei den »Prozess der Mystifikation und Mythisierung« aufzuzeigen, den sie durchführte, um das »Persönliche komplexer und bedeutsamer als reine Autobiografie« zu machen. Ihre Worte, nicht meine.
Um eins klopft Marie einmal an die Tür und rollt ein Wägelchen mit zwei zugedeckten Tabletts herein, ohne Clares Reaktion abzuwarten. Sie stellt beide auf den niedrigen Couchtisch in der Mitte des Zimmers und entfernt die Abdeckung: Sandwiches, eine Auswahl an Salaten. Sie verbeugt sich (bilde ich mir das ein?), rollt das Wägelchen aus dem Zimmer und schließt die Tür hinter sich.
Wir essen in konzentriertem Schweigen, das durchbrochen wird von unseren Kau- und Atemgeräuschen, unserem Hin- und Herrücken auf den Polstern, um bequemere Positionen zu finden. Ein Hagedasch schreit im Garten. Ein Gärtner ruft einem anderen etwas zu. Ein Flugzeug fliegt über uns weg. Bei einem Haus weiter unten auf der Straße schrillt plötzlich der Alarm. Wir sagen nichts beim Essen, nichts übers Essen.
In all den Stunden, die ich in dem Haus gewesen bin, habe ich nie ein Telefon klingeln gehört. Vielleicht gibt es im anderen Flügel einen Apparat, der leise klingelt, sodass nur Marie ihn hört und bedient. Im Arbeitszimmer gibt es kein Telefon. Clare hat keinen Kontakt mit der übrigen Welt, außer durch die Fenster, die sie tagsüber öffnet, um den Gärtnern flüssige Anweisungen in einer Sprache zu geben, von der ich weiß, dass sie für mich immer nur Klang bleiben wird. Es ist eine Sprache, die ich nicht lernen werde, weil ich nicht die Zeit oder den Willen dazu habe.
Sie kaut mit langsamen und methodischen Bewegungen, als forderte jeder Bissen volle Konzentration. Ihre großen, geraden Zähne arbeiten sich durch das Brot und den Belag, durch Salatblatt und Tomaten, alles einfach, doch sorgfältig zubereitet. Sie liebt gute Dinge, gutes Essen, gute Kleidung, gute Möbel und ein gutes Haus. Der Erfolg ihrer Bücher ermöglicht ihr einen bequemen Lebensstil – einen extravaganten Lebensstil, verglichen mit dem der meisten in diesem Land oder in jedem anderen Land. Als wir mit den Sandwiches fertig sind, drückt sie einen Knopf an der Wand neben ihrem Schreibtisch. Eine Minute später kehrt Marie mit Kaffee und einem Teller Tenniskekse und gefülltes Gebäck zurück. Sie nimmt die leeren Teller und verlässt uns wieder.
»Ich dachte, ich solle mein eigenes Essen mitbringen.«
»Ich mag keine fremden Gerüche. Alles wird intensiver, wenn man allein lebt. Ich gehe nicht gern aus dem Haus. Ich hasse das Reisen. Die Reise nach London war fast zu viel für mich.
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