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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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hinter dir und warst hoch genug, um auf die dunkle Wolkenfront zurückzublicken. Wo der Regen fiel, sah die Erde schwarz aus.
    »Ich will nach Hause«, wimmerte Sam.
    »Wo ist das?«
    »Woodstock.« Verputzte Fachwerkhäuser, bei denen die Farbe bröckelte, Vorhänge aus alter Bettwäsche mit Blumenmustern, ausgebleicht von der Sonne. Drinnen befänden sich die allgegenwärtigen morschen Bilderleisten, die billige Rahmen mit Familienfotos oder pastellfarbene Illustrationen mit Göttern und Heiligen hielten, kopierte Gebete, von Puppen oder Bildern abgetrennte Köpfe, symbolisch aufgehängt über schmierigen Betten, die an fleckige und rissige Wände geschoben waren, an denen sich die Tapete oder Farbe von unten nach oben aufzulösen begonnen hatte, neue Kontinente im freigelegten Putz bildend, Gletscher, die sich von den verzogenen Dielenbrettern heraufarbeiteten. Es war ein Ort mit Häusern, die bewohnt, doch schon halb verlassen waren von Menschen, die nur teilweise dort waren.
    »Aber hast du denn noch ein Zuhause?«, hast du gefragt, weil du nicht sagen konntest: Ich habe den Mann umgebracht, der dir ein Zuhause gegeben hat, jedes Zuhause, das du gehabt hast, ist verloren. »Hast du Großeltern?«
    »Ich habe eine Tante.«
    »Wo wohnt sie?«
    »Irgendwo. Weit weg.«
    »Wo genau?«
    »In der Karoo.«
    Du hast dich auf die Haarnadelkurven zu konzentrieren versucht, die den Lkw in einen halsbrecherischen Tanz mit dem Abgrund zwangen. Vor jeder Kurve hast du die Hupe betätigt, in schrecklicher Angst, du könntest ein entgegenkommendes Fahrzeug überraschen. »Kennst du den Namen des Ortes?«
    Sam klammerte sich am Türgriff fest und wappnete sich gegen die unberechenbaren Bewegungen des Lasters. Beaufort West, sagte er, hinter der Kleinen Karoo und nach den Swartbergen, den schwarzen Bergen, die ihre rötlichbraune Färbung erst offenbaren, wenn man sie erklommen hat. Das lag auf deiner Route, die du erfandst, während du fuhrst. Das war ein glücklicher Umstand oder vielleicht nicht mehr als ein Zufall.
    Du hast beschlossen weiterzufahren, hast dich hinunter ins Tal gequält und bist an Oudtshoorn vorbeigerast, dann wieder hochgefahren in den fruchtbaren Landstreifen südlich der schwarzen Berge. Zum Tanken hast du in der Nähe von Kango angehalten, die kühle, trockene Luft geatmet und Sandwiches und Biltong im Shop gekauft. Ihr beiden habt Rast gemacht und gegessen und euch einen Moment lang wie ein normales Mutter-und-Sohn-Paar gefühlt, das auf einem Ferienausflug auf jener unbefestigten, von Sträflingen gebauten Straße durch die sieben Pässe fuhr. Und dann war es an der Zeit weiterzufahren. Die Nacht war frisch und allumfassend und du fuhrst mit dem Laster die unbefestigte Passstraße hinauf, während die Scheinwerfer den Rand des Abgrundes ertasteten. Langsam fahrend, flehtest du deinen Körper an, überlegt zu reagieren, wachsam zu sein, die Windungen der Straße instinktiv zu erfassen, die Beschaffenheit der Kurve zu erahnen, zu wissen, wo sie zu Ende war, weil die geringste falsche Bewegung, eine ganz kurze Drehung des Lenkrads zu weit nach links, auch nur eine Idee zu viel Gas für euch beide das Ende bedeuten würde. Während dieser Minuten konntest du Sam nicht ansehen. Die Zeit verdichtete sich zu einem einzigen Moment der Anspannung, um sich dann in alle deine Lebensjahre abzuspulen. Die Muskeln taten dir weh, in deinem Kopf pochte es; Sams Atemzüge dröhnten dir in den Ohren, und je höher der Laster kletterte, desto deutlicher wurde dir die Bürde bewusst, die du mit deinen Aktionen auf dich genommen hattest. Er war der Deine geworden, du die Seine.
    (Doch wie können wir das behaupten? Du sagst in deinem letzten Notizbuch: Er ist jetzt der Meine, ich die Seine, das wurde stillschweigend vereinbart . Wir haben ihn nicht gefragt. Wie können wir so tun, als würden wir seine Gedanken kennen, als könnten wir sein Einverständnis voraussetzen?)
    Oben angekommen, wo die Berge sich zu einem Plateau abflachten, hast du dich kurz erholt, den Atem herausgelassen, den du angehalten hattest, und gewusst, dass du eine Pause machen müsstest, denn es wäre selbstmörderisch, die Haarnadelkurven bergab und aus den Bergen hinaus bei Nacht zu bewältigen. Eine Gruppe Kiefern in der von niedrigem Gestrüpp und Gräsern geprägten Landschaft tauchte dunkler gegen den Himmel auf und stellte sich als Campingplatz mit rudimentären Einrichtungen heraus. Du erinnertest dich schwach an diesen Ort von unserem

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