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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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kleine Kinder waren, hat mich Nora gnadenlos gehänselt. Ich war das Giraffenmädchen , das Gänschen , der Galgenstrick . Ich häng dich auf, Galgenstrick , kreischte Nora und bedrohte mich mit einem Seil. Und wenn ich dann weinte, drückte sie mich an sich und sagte, dass sie es nicht so gemeint habe. Nimm’s nicht krumm, Clare , es sei nur Spaß gewesen, so seien Schwestern eben. Mit acht hörte ich auf, sie lieb zu haben, nachdem sie mir das Haar abgeschnitten hatte, als ich schlief, und es im Garten verbrannt hatte. Ich dachte an sie nicht länger als an meine liebe Schwester , noch bevor ich erwachsen wurde, noch vor meiner Teenagerzeit, lange bevor Nora aus dem Haus ging.
    Mit sechzehn drohte Nora ständig. Sie drohte unseren Eltern, dass sie diesen bulligen Buren, Stephan Pretorius, heiraten würde, mit oder ohne ihre Erlaubnis. Sie bedrohte mich einmal mit einer heißen Gusseisenpfanne vom Herd, jagte mich durchs Haus und schrie: Ich bring dich um! Ich bring dich um! , nachdem ich ihren Lippenstift benutzt hatte. Sie drohte den Katzen damit, sie zu schlagen und zu ersäufen. Sie drohte unseren Eltern, sie würden sie nie wiedersehen, wenn sie sich weigerten, zu ihrer Hochzeit zu kommen. Sie drohte, durchzubrennen und die Eltern nie ihre Enkel sehen zu lassen (vielleicht war es ein Segen, dass es keine gab). Sie drohte zu viel. Warum war sie mir so unähnlich, fragte ich mich. Wie entwickeln sich zwei Menschen in jeder Beziehung gegensätzlich, wenn sie doch von denselben Eltern im selben Haus mit denselben Werten und Regeln aufgezogen werden? Ich habe noch heute kaum eine Antwort darauf. Sie waren strenger bei ihr, aber doch nicht so, dass dabei eine Tyrannin herauskommen musste. Mein Vater sagte immer, dass der Geist seiner Großmutter, an die er sich mit Entsetzen erinnerte, Nora heimgesucht haben musste, denn wie sollte man sonst ihre Boshaftigkeit erklären? Es gab Zeiten, zu denen ich mich fragte, ob du, Laura, diese Heimsuchung geerbt hattest, ob das Echo von Noras Namen in deinem eigenen auf einen Generationsfluch hindeutete.
    Sogar als Kind begriff ich, warum sie Stephan heiraten wollte. Es ging nicht um Liebe. Er war älter als sie, schon ein Mann – ein Mann, der unseren Vater ersetzen sollte, der ein weit besserer Mann war. (Ich weiß, dass du protestieren willst – dass auch ich einen Mann geheiratet habe, um meinen Vater zu ersetzen, Jurist wie er. Anders als Nora war mir bewusst, wie töricht ich war, und dein Vater war – ist – kein Monster.) Noras Mann, unserem Vater so unähnlich, besaß einen starken, stämmigen Körper, strotzend vor Gesundheit und Wohlleben. Was konnten unsere Eltern sagen außer Ja, wir geben unseren Segen? Und obwohl er, wenn man will, einem Parallelzweig desselben christlichen Volksstammes angehörte (wenn wir heutzutage noch von Volksstämmen sprechen können), erschien die Familie Pretorius meinen Eltern so fremd, wie wir ihnen erschienen sein müssen. In der Hochzeitsnacht meiner Schwester hörte ich meinen Vater in seinem Arbeitszimmer auf eine Weise weinen, wie er es nur tat, wenn er der Toten gedachte.
    Ein Klient meines Vaters lieh uns für den Tag eine Limousine und wir bezahlten den Gärtner extra dafür, dass er uns zur Kirche fuhr, dann zum Bankett und hinterher nach Hause. Auf dem Weg zur Kirche war der Gärtner so begeistert von dem Auto, dass er die Scheibenwischer ausprobierte, dann aber nicht herausfand, wie sie abzustellen waren, deshalb kamen wir bei sengender Sonne in unserer geliehenen Limousine bei der Kirche an und die Scheibenwischer fuhren kreischend über das trockene Glas, und selbst als der Motor ausgeschaltet war, quietschten die Wischer hin und her, bis die Autobatterie ihren Geist aufgab. Nach der Trauzeremonie mussten wir durch die Stadt zum Hochzeitsbankett laufen, weil es keinen Platz in den Limousinen gab, die von der Familie meines Schwagers – zu Dutzenden – gemietet worden waren. Oder vielleicht wollten sie eine solche Nähe zu uns nicht riskieren. Meine Schwester war eine der Ihren geworden, hatte ihre Kirche gewählt und unserem ruhigen Methodistentum den Rücken gekehrt. Stephan hatte mit der Wahl einer Außenseiterin einen Skandal verursacht, aber er hatte sich durchgesetzt. Er behauptete sie zu lieben. Und wieso auch nicht? Sie sah damals aus wie Marilyn Monroe, blond und makellos wie eine Göttin.
    Wir kamen schwitzend und staubig beim Bankett an, während meine Schwester und ihre neue Familie trocken und kühl waren

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