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Abteil Nr. 6

Abteil Nr. 6

Titel: Abteil Nr. 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Liksom
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zufrieden und goss Wodka in ein zweites Glas.
    »Trinken wir auf die Frauen dieser Welt! Auf die Weisheit der Alten, auf den Verstand des Herzens und auf die Schönheit der Jugend! Auf Ihre Freundlichkeit, mein altes Mütterchen, und auf den silbernen Gründling!«
    Nachdem er getrunken hatte, biss er von der Scheibe Schwarzbrot ab, die er mit Senf bestrichen und mit Pfeffer und Salz bestreut hatte. Er füllte erneut sein Wodkaglas und stand kurz auf.
    »Manch ein Volksgenosse, der seiner Zeit vorausgeeilt war, hat an einem schrecklichen Ort darauf warten müssen, darum lasst uns nicht hektisch werden, sondern gemeinsam die Wärme und diese Stunde genießen!«
    Als es Zeit war zu gehen, zog der Mann eine zierliche chinesische Taschenlampe und einen Fünfundzwanzig-Rubel-Schein aus der Tasche und gab beides der Alten. Sie nickte zufrieden mit dem Kopf und folgte ihnen zur Haustür. Der Mann und die junge Frau traten aus der brütend heißen Küche in die frische Kälte des Morgens, die ihnen wie eine Gerte ins Gesicht schlug.
    Mit seinen schweren Händen drehte der Mann das unwillige Steuer des Pobeda. Auf einer kurzen Geraden prallte er mit dem Kopf aufs Lenkrad. Die junge Frau schlug vor, selbst weiterzufahren.
    Nach und nach wurden die bäuchlings daliegenden, Furche für Furche beschneiten Felder zum Balken für Balken gezimmerten Dorf, das Dorf dann zur matschigen Vorstadt, wo Blockhäuser und Plattenbauten nebeneinanderstanden. Die Gärten und Pflanzbeete der Holzhäuser erstreckten sich in der einen Richtung bis zur Stadt, in der anderen bis zu den Feldern und Wäldern ringsum. Dann wurde die Vorstadt zur Straße für Straße angelegten schlammigen Stadt.
    Vor den Fenstern der Wohnblocks hatten die Leute Weißfische zum Trocknen aufgehängt, graue Tauben trippelten auf den Fensterbrettern. Sie waren bereits aus dem Winterurlaub nach Nowosibirsk zurückgekehrt.
    Der Mann schluckte an seinem alten Kater, den die paar Gläser Wodka nicht in frische Betrunkenheit verwandelt hatten. Er schlotterte am ganzen Leib, sein Adamsapfel zuckte.
    »Wenn ich einen Schluck Brühe aus dem Gurkenglas trinken könnte, wäre alles gut. Dann würde sich mein Herz beruhigen.«
    Sein Gesicht war rot und sein Blick so schwer, dass die junge Frau es nicht ertrug und sich abwandte.
    Der Mann bat sie, an der Ecke anzuhalten, wo ein blauer Tankwagen stand.
    »Ich fühle mich so grausig, dass ich kurz aussteigen muss.«
    Er sprang energisch aus dem Auto, nahm den leeren Zehn-Liter-Kanister aus dem Kofferraum und füllte ihn am Tankwagen auf, auf dessen Behälter in schönen schwarzen Buchstaben das Wort »Kwas« gemalt war. Als der Mann mit dem Kanister wieder einstieg, summte er vor sich hin.
    »Ich hab Zahnweh.«
    Mit zuversichtlicher Miene trank er direkt aus dem Kanister. Der süßliche Kwas-Geruch machte sich überall breit.
    »Jetzt nicht mehr.«
    Sein Gesicht verzog sich zu einem Gagarinlächeln.
    »Als ich mich in Katinka verliebte, besaß ich keine einzige Kopeke. Monatelang war ich blank, aber trotzdem schmeckte mir das Leben, und ich hatte genug Essen, Fotzen und Wodka. Dann stieß ich an der Tür vom Brotladen auf Katinka, und so besoffen, wie ich war, lud ich sie zu mir ein. Damit fingen die Probleme an. Da kriegt ein Kerl Besuch von einer Frau oder zumindest von einer Art Hure und hat nicht mal Geld für Kringel, Tee und Sekt. Also krempelte ich wie ein richtiger Hund die Ärmel hoch und legte los. Als Erstes fragte ich Kolja, meinen Zimmernachbarn, ob er mir fünf Rubel leiht. Ich hab nur drei, und die brauch ich selber, schmetterte er mich eiskalt ab. Dann platzte ich bei Wowka im Eckzimmer hinein, ob er ein oder zwei Rubel hätte, aber der Schluckspecht saß vollkommen auf dem Trockenen. Ich ging einen Stock tiefer, wo Sergej wohnte, und bat ihn um einen Fünfer. Du kriegst einen Rubel, sagte er. So ging ich von Tür zu Tür. Ich klapperte sämtliche Freunde und Feinde ab, und in der Woche darauf hatte ich sechsundzwanzig Rubel und drei Kopeken in der Kasse. Das ging mir in Mark und Schwanz. Schließlich kam Katinka hereingeschlüpft. Ich bot ihr Sekt an und trank selbst die eine oder andere Flasche Wodka. Alles war also in bester Ordnung. Als die Schlafenszeit näher rückte, spielte ich den demütigen, bescheidenen Mann. Ich nahm das Feldbett aus dem Schrank und richtete mir darauf mein Lager her, meine Koje trat ich an Katinka ab.
    Aber wie es dann so kommt. Sobald ich mich ausgestreckt hatte, nichts als die Vorstellung

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