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Abtruennig

Abtruennig

Titel: Abtruennig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Dungs
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die Chance bekam, zu retten, was mir so wichtig geworden war.

    Ich hatte mich durch meine Unsterblichkeit daran gewöhnt, dass die Zeit keinerlei Bedeutung mehr für mich hatte, allerdings war es deswegen umso schwieriger, auch nur ein paar Stunden tot zu schlagen. Ich konnte und wollte nichts anderes machen, da ich ohnehin ständig an Lesley denken musste. Wenigstens war mir Peter nicht über den Weg gelaufen. Ich hätte nicht gewusst, was oder ob ich ihm überhaupt etwas erzählen sollte. Er wusste, dass ich etwas tat, was nicht erlaubt war, aber es schien ihn bisher nicht sonderlich zu interessieren. Immerhin konnte ich ihm entgegen halten, dass er ebenso etwas Verbotenes tat. Ich hatte sowieso genug mit meinem eigenen Gefühlschaos zu tun, da musste ich mich nicht auch noch mit meinem Artgenossen herum schlagen. Die Zeit schien überhaupt nicht zu verrinnen, also konnte ich es nicht vermeiden, dass ich in meinem Kopf sämtliche Szenarien durchspielte, wie das Treffen mit Liz wohl ausgehen würde. Irgendwann hatte meine innere Stimme glücklicherweise aufgegeben mich zur Vernunft bringen zu wollen. Vorerst zumindest. Endloswirkende Minuten waren zu unmenschlich langen Stunden geworden, und viel zu langsam verabschiedete sich der Tag, um schließlich der Nacht den Vortritt zu lassen.
    Die Sonne war kaum am Horizont verschwunden, da machte ich mich auch schon zum Anwesen der Ashtons auf. Als ich dort ankam, musste ich mich regelrecht dazu zwingen, um noch eine Weile in den Wäldern auszuharren. „Heute Nacht“ hatte sie geschrieben, was meiner Ansicht nach auch schon um neun Uhr hätte sein können. Allerdings entschied ich mich dann doch darauf zu warten, bis alle anderen Menschen im Haus schliefen. Ich dachte mir, dass sie nicht wollte, dass die Angestellten etwas mitbekamen, sonst hätte sie mich auch heute Morgen empfangen können.
    Es war weit nach Mitternacht, als ich mein provisorisches Versteck verließ. Ich eilte zur hinteren Seite des Hauses und verlor keine kostbare Zeit mehr. Gekonnt sprang ich nach oben und landete auf dem kleinen Vorsprung. Für einige Sekunden verharrte ich in meiner regungslosen Position und lauschte in die vermeintliche Stille hinein, genau wie beim letzten Mal, als ich hier war. Ich hörte nur Lesleys gleichmäßige Atmung. Sie schlief.
    Vorsichtig öffnete ich die Balkontür. Sie war nicht verschlossen, und trotzdem überkam mich das unbehagliche Gefühl, dass ich etwas Verbotenes tat – nun, so war es letztendlich auch. Nach diesem Debakel in der Straße, war ich mir nicht sicher, ob sie mich jemals wieder normal ansehen konnte. Ein leiser Seufzer entrann meiner Kehle und ich sog noch einmal die kalte Luft ein. Im nächsten Moment betrat ich das dunkle Zimmer.
    Lesley lag zusammengerollt im riesigen Bett. Ich bewegte mich lautlos in die Mitte des Raumes und beobachtete ihren unruhiger werdenden Schlaf. Konnte sie meine Anwesenheit spüren, selbst wenn sie träumte? Ich wollte sie halten, ihre Wärme fühlen, ihren Herzschlag spüren… ich musste mich konzentrieren, um mich im Zaum halten zu können. Augenblicklich wich ich bis in den hintersten Teil des Raumes zurück und verbarg mich in den schwarzen Schatten. Ich war hier, weil sie es mir erlaubt hatte und trotzdem war ich wieder einmal vollkommen unschlüssig, was ich jetzt tun sollte. Ich wollte sie nicht wecken und ich wollte auch nicht, dass sie vor Schreck einen Herzinfarkt bekam, wenn sie mich aus schlaftrunkenen Augen ansehen würde. Meine sonst so souveräne Art begann ordentlich vor sich hin zu bröckeln, aber daran war ich letztendlich selber Schuld. Mein Gewissen hatte mich ganz bestimmt nicht in diese missliche Lage gebracht, genau genommen, hatte es krampfhaft versucht, mich wieder in das zu verwandeln, was ich nun einmal war – ein Vampir und kein gewöhnlicher Sterblicher.
    Lesley wälzte sich plötzlich stöhnend umher und unterbrach meinen verzweifelten Gedankengang. Ich hörte, wie sich ihre Atmung veränderte. Sie wachte auf. Sie hatte sich auf den Rücken gedreht und ich konnte sehen, wie sich ihre Lider öffneten.
    Draußen pfiff der Wind und brach sich in den riesigen Bäumen, die das Haus umsäumten. Ein Gewitter würde bald aufziehen, ich konnte es schon in der Ferne wahrnehmen.
    Liz richtete sich im nächsten Moment auf. Sie lehnte sich seufzend an das eiserne Bettgestell. Von meiner Position aus wirkte sie schon wieder wie ein Gemälde. Der feine Baldachin grenzte ihre zierliche Figur in dem

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