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Abtruennig

Abtruennig

Titel: Abtruennig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Dungs
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mich schließlich nicht anmelden lassen. „Was wünschen sie?“, fragte er trotzdem höflich.
    War das nicht offensichtlich?
    „ Guten Morgen. Ich weiß es ist noch früh, aber ist es möglich Miss Ashton zu sprechen. Es ist wirklich wichtig.“
    Der ältere Mann räusperte sich. Ihm war sichtlich unwohl, also wusste ich sofort, was jetzt folgte.
    „ Tut mir sehr leid, Mr. De Winter, aber Miss Ashton ist nicht zugegen. Darf ich etwas ausrichten?“
    Ich wusste, dass Liz im Haus war. Ich konnte sie spüren. Aber mir war auch klar, dass der Butler so etwas sagen würde. Natürlich wollte sie mich nicht sehen. Verdammt!
    Ich lächelte verständnisvoll.
    „ Danke. Das ist nicht nötig, ich kenne ihre Antwort bereits. Entschuldigen sie noch mal die Störung.“
    Er nickte irritiert.
    „ Das macht wirklich nichts, Sir. Ich werde Miss Ashton aber selbstverständlich Bescheid geben, dass sie hier waren.“
    „ Okay, danke.“
    Ich drehte mich auf dem Absatz um und verließ ohne ein weiteres Wort den Eingangsbereich. Die Tür wurde hinter mir sanft geschlossen und seine Schritte entfernten sich wieder.
    Der Kiesel knirschte heute unter meinen Füßen, als ich wieder auf den Pfad trat, aber nur weil ich nachlässig auf den Weg zurück schlurfte. Eine winzige Bewegung in meinem Augenwinkel ließ mich reflexartig inne halten. Ich wirbelte herum und starrte nach oben.
    Da war sie. Lesley stand, halb verborgen hinter einem schweren Brokatvorhang im Obergeschoß. Sie war in der Bibliothek – ihr Lieblingsraum im ganzen Haus, so hatte sie mir es an unserem Date erzählt. Ich erinnerte mich an letzte Nacht und mein Herz fühlte sich kälter an als sonst.
    Ihr Blick war in den Himmel gerichtet. Sie trug einen flauschigen Morgenmantel und umklammerte mit beiden Händen eine Tasse. Es war Kaffee, der Duft war hier unten zwar nur ein Hauch, ich konnte ihn dennoch wahrnehmen. Ich stand im Moment dermaßen unter Strom, dass ich vermutlich alles registrieren würde, was sich in unmittelbarer Umgebung abspielte. Ich ging einige Meter rückwärts ohne sie dabei aus den Augen zu lassen. Die Sonne war bereits dabei aufzugehen, doch sie wurde glücklicherweise noch durch dichte Wolken verdeckt. Mir würde jedoch nicht mehr allzu viel Zeit bleiben.
    Liz nahm einen Schluck aus dem Becher und schaute dabei plötzlich nach unten. Sie sah den kiesbedeckten Weg, den Springbrunnen vor dem Haus, die Hecke, die das nahe gelegene Wäldchen abgrenzte und schließlich mich. Es war ein kaum wahrnehmbares Zucken, das ihre Erschrockenheit verriet. Ich blieb stehen, ohne mich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Eigentlich rechnete ich damit, dass sie sofort vom Fenster verschwinden würde, doch sie blieb einen Augenblick so stehen. Wir starrten uns an.
    Meine Lippen formten lautlos ein einziges Wort.
    B-I-T-T-E!
    Liz nickte mir kaum merklich zu und dann verschwand sie. Sie hatte es verstanden, aber ich wusste nicht, ob es überhaupt noch etwas gebracht hatte. Ich lauschte angestrengt, in der Hoffnung, sie würde nach unten kommen. Es war jedoch nichts zu hören. Die Treppe blieb leer. Wahrscheinlich war sie zurück in ihr Zimmer gegangen.
    Mir blieb nicht mehr viel Zeit, bis die Sonne auf meine Haut treffen würde, also entschied ich mich zu gehen. Ich konnte sowieso nichts tun, solange sie mich nicht sehen wollte. Aber ich würde wiederkommen, ob sie es wollte oder nicht.
    Ich drehte mich um und stapfte in Richtung der Auffahrt, als ich plötzlich hektische Schritte hörte. Schwer, zu schwer, als dass es eine Frau sein konnte. Die Eingangstür schwang auf einmal nach innen auf und der Butler erschien im Türrahmen.
    „ Mr. De Winter? Sir?“
    Er war außer Atem, als er zu mir nach unten eilte.
    Überrascht wandte ich mich ihm zu.
    „ Ich habe eine Nachricht für sie!“
    Er hielt mir ein kleines weißes Kuvert hin.
    Ohne zu zögern griff ich danach.
    „ Ähm, danke.“
    „ Einen schönen Tag noch, Sir.“
    Er lief wieder zurück. Ich wartete, bis er im Haus verschwunden war, dann öffnete ich den winzigen Umschlag. Ich entnahm einen zierlichen Zettel. Schwarze Buchstaben leuchteten mir entgegen. Zwei Worte, in einer schwungvollen Handschrift geschrieben:

    Heute Nacht

    Ein Lächeln huschte über meine Lippen. Heute Nacht! Das war zumindest ein Hoffnungsschimmer am allzu trüben Horizont. Ich steckte die Nachricht in meine Hosentasche und machte mich erneut auf den Weg. Jetzt musste ich nur noch diesen einen Tag überstehen, bis ich vielleicht

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