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Abtruennig

Abtruennig

Titel: Abtruennig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Dungs
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großen Bett ein, wie ein riesiger Rahmen, der zu beiden Seiten sanft nach unten abfiel. So sah ich sie mittlerweile immer; das lebendig gewordene Portrait eines Engels. Die Stimme in meinem Kopf war auf einmal wieder da und wollte einen passenden Kommentar abgeben, ich brachte sie aber rechtzeitig zum Schweigen. Jetzt konnte sie auch die Klappe halten! Ich empfand einfach so, wenn ich Liz nah war. Ob es nun gefühlsduselig war oder nicht, interessierte mich offen gestanden überhaupt nicht. Diese Empfindung war sonderbar und zugleich auch vollkommen neu für mich und trotzdem war nur eine Sache für mich wirklich ausschlaggebend: Ich wollte sie um keinen Preis aufgeben.
    „ Nicholas…?“
    Lesleys Flüstern ließ mich zusammenzucken. Sie konnte mich nicht sehen, dafür war es hier viel zu finster und ich lag noch immer verborgen im Schatten.
    „ Nicholas!“
    Die Frage wich einer Feststellung.
    Ohne ein Wort zu erwidern, trat ich zwei Schritte nach vorne. Ganz langsam.
    Der Mond war die meiste Zeit über hinter Wolken versteckt, aber dann und wann konnte er seine Pracht zeigen und das Zimmer wurde für Sekundenbruchteile ein wenig erleuchtet. Zumindest war es hell genug, damit mich auch menschliche Augen sehen konnten.
    „ Ich wusste, dass du da bist“, sagte sie leise.
    „ Entschuldige, es ist spät…“, mehr kam nicht über meine Lippen. Mein Mund fühlte sich schlagartig staubtrocken an, wie ein ausgetrocknetes Flussbett in der Wüste.
    „ Also, was willst du?“
    Für einen winzigen Moment zögerte ich. Warum war ich hier? Ich wollte ihr sagen, dass ich dabei war, mich in sie zu verlieben. Obwohl es verboten war. Obwohl ich ein Vampir war. Obwohl ich…
    „ Ich weiß es nicht“, antwortete ich schließlich.
    „ Du weißt es nicht?“, es klang überrascht und ungläubig zugleich.
    Ich erwiderte nichts darauf, aber ich machte einen weiteren Schritt auf sie zu.
    Lesley winkelte sofort ihre Beine an und zog die Knie bis an ihre Brust. Es war genau die gleiche Haltung, die sie damals in der Gasse eingenommen hatte, als sie noch ein Teenager gewesen war.
    Beschwichtigend hob ich sofort meine Hände.
    „ Ich komme nicht näher. Tut mir leid.“
    „ Okay…“, flüsterte sie. Es klang erleichtert.
    „ Du hast Angst vor mir…“ Es war keine Frage. Ihre Furcht war regelrecht greifbar und mein kaltes Herz drohte plötzlich zu zerbrechen. „Ich würde dir niemals etwas zu Leide tun.“
    Ein kaum auszumachendes Lächeln huschte über ihr makelloses Gesicht.
    „ Ich weiß, Nicholas.“ Ihre Stimme wurde wieder fester. „Du hast mir schon einmal das Leben gerettet. Vor so vielen Jahren…da war ich noch ein Kind.“
    Ich hatte Recht behalten, sie konnte sich wieder erinnern. Ich nickte nur kurz, weil ich nicht wusste, was ich erwidern sollte.
    „ Wieso?“
    Wie meinte sie das? Wie hätte ich sie nicht vor diesen Monstern schützen können?
    „ Ich verstehe nicht.“
    Lesley entspannte ihre Haltung und beugte sich ein kleines Stückchen zu mir nach vorne.
    „ Wieso hast du mich gerettet? Dein Freund wollte etwas anderes tun.“, sie stockte. „Das, was er mit den anderen Kindern getan hat…“, sie schluckte. „Sie konnten sich auf einmal an nichts mehr erinnern.“
    „ Das klingt absurd, doch es ist eine bessere Alternative, als sie zu…“, ich unterbrach mich selbst.
    „… töten“, beendete sie meinen Satz.
    „ Ich weiß nicht, warum ich nicht zugelassen habe, dass er dein Gedächtnis löscht. Du hast mich angesehen…ich konnte es einfach nicht.“ Das war die Wahrheit, so banal es auch klang. „Du hast damals nichts verraten. Warum?“ Diese Frage hatte mir so unendlich lange auf der Zunge gebrannt.
    „ Ich weiß es nicht genau. Ich habe nie wirklich begriffen, was in jenem Moment geschehen ist, aber ich wusste, dass ich gestorben wäre, wenn du nicht gekommen wärst. Vielleicht habe ich aus Dankbarkeit geschwiegen.“ Sie lächelte ein wenig. „Irgendwann habe ich dann aufgehört an dich zu denken. Darauf zu warten, dass du wieder kommst. Ich redete mir ein, dass es vielleicht auch einfach nur am Schock lag. Ich hatte Dinge gesehen, die unmöglich waren, das konnte alles nicht real sein...und dann bist du plötzlich wieder aufgetaucht. Seit gestern weiß ich wieder alles aus jener dunklen Nacht.“
    Ich seufzte. „Ich wollte nicht, dass die schlimmen Bilder zurückkehren.“
    „ Nein, Nicholas!“ Sie lehnte sich noch ein wenig vor. „Verstehst du nicht? Ich habe mir gewünscht,

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