Abzocke im Online-Chat
schmale Einbahnstraße. Gaby
beschleunigte das Tempo, erreichte das Straßenschild und prägte sich den
Straßennamen ein: David-Luschnat-Straße.
Es war hinderlich bei der
Beschattung, nebenbei noch das Fahrrad zu schieben. Aber sie konnte es ja nicht
einfach irgendwo abstellen. Bis sie einen geeigneten Platz gefunden und das
Mountainbike mit dem Schloss gesichert hätte, wäre Patrick Schneider längst aus
ihrem Blickfeld verschwunden gewesen.
Die Straße war schmal und links
und rechts zugeparkt mit Autos, obwohl auf beiden Seiten totales Halteverbot
war. Vor einem Dönerladen standen Stühle und Tische aus Plastik. Ein kleines
Mädchen saß direkt neben dem Eingang und lutschte ein Wassereis. Einen Tisch
weiter hatte Patrick sich niedergelassen. Er war nicht allein. Gaby überlegte,
woher sie den Mann kannte.
»Natürlich«, sagte sie leise zu
sich selbst und schnippte ebenso leise mit den Fingern. »Das ist doch der Typ,
der seine Aktentasche verloren hatte. Wie hieß er doch gleich wieder? Johann
Leihmer oder so. Derselbe grässlich-rote Anzug, aber ohne Strohhut«.
»Geht es dir nicht gut?«
Gaby spürte plötzlich einen
spitzen Zeigefinger auf ihrer Schulter, schoss herum und guckte in das besorgte
Gesicht einer alten Frau. Sie führte einen Beagle an der Leine. Der Hund
schnupperte an Gabys Turnschuhen. Sie beugte sich zu ihm runter.
»Gib Pfote.«
Der Hund gehorchte ihr aufs
Wort. Gaby kraulte seinen Kopf.
»Du bist ja eine echte
Hundeflüsterin«, sagte die alte Dame. »Nicht mal mir gibt er die Pfote, wenn
ich ihn darum bitte. Jedenfalls nichts immer. Freddie hat seinen eigenen Kopf.«
Gaby lächelte. »Mit Hunden
verstehe ich mich gut.«
»Das merkt man«, sagte die
Frau, die die schulterlangen weißen Haare zu einem Zopf gebunden hatte.
»Entschuldige, wenn ich dich erschreckt habe. Du hast mit dir geredet. Das
kennt man ja sonst nur von alten Menschen.« Sie verzog die Mundwinkel zu einem
Lächeln.
»Stress«, sagte Gaby und zuckte
die Achseln.
»Verstehe«, meinte die Frau.
»Das kenne ich von meinem Enkel. Tobias hetzt von einem Termin zum nächsten
und...«
»Entschuldigung«, fuhr Gaby
dazwischen. »Ich...«
»Verstehe«, sagte die Frau
wieder und seufzte. Wahrscheinlich hätte sie sich gerne länger mit Gaby
unterhalten.
»Alles Gute. Dir auch,
Freddie«, wünschte Gaby und ließ die beiden einfach stehen. Sie pirschte sich
ein paar Meter näher an die Dönerbude ran. Jetzt sah sie klarer. Der Mann, der
sich mit Patrick Schneider einen Tisch teilte, war doch nicht Johann Leihmer.
Sie hatte sich getäuscht. Aber eine gewisse Ähnlichkeit gab es zwischen den
beiden Männern. Nicht gerade wie bei Zwillingen, aber Brüder hätten sie sein
können. Aber womöglich lag es nur daran, dass sie ähnlich gekleidet waren.
Patrick Schneider öffnete
gerade seine Einkaufstüte und hielt sie dem Typ unter die Nase. Der riskierte
einen Blick und nickte zufrieden. Er griff nach der Tüte, aber Patrick riss sie
rasch an sich. Der Mann redete auf ihn ein. Gaby konnte kein Wort verstehen,
dazu war sie zu weit weg. Patrick schüttelte den Kopf und presste seine Tüte
gegen die Brust wie ein Schutzschild.
Da waren geschäftliche
Verhandlungen im Gange. Das erkannte Gaby auf den ersten Blick.
Der Mann haute die rechte Faust
auf den Tisch. Das Mädchen, das noch immer an seinem Wassereis lutschte,
schaute ihn ängstlich an. Patrick schoss hoch und wollte sich verdrücken, aber
der Fremde hielt ihn am Arm fest. Patrick Schneider setzte sich wieder. Der
Mann hob beschwichtigend die Hände, zückte eine dicke Brieftasche aus seiner
Jacke und steckte Patrick ein paar Geldscheine zu. Ohne nachzuzählen, sackte er
das Geld ein und überreichte dem Mann die Tüte von SUPER-ELEKTRO.
»Wow!«, entfuhr es Gaby. Für
sie war glasklar, was sie da eben mit eigenen Augen gesehen hatte: Patrick
Schneider hatte die geklauten Handys an den unbekannten Mann verkauft. Der Typ
war ein Hehler, also jemand, der für gestohlene Gegenstände zahlte und sie mit
Gewinn an andere verkaufte.
Patrick Schneider hatte es auf
einmal sehr eilig.
Er kam direkt auf Gaby
zugeschossen. Sie versteckte sich blitzschnell in einem Hauseingang und
wartete, bis der Junge aus der 9 a an ihr vorbei war. Dann streckte sie
vorsichtig den Kopf heraus und schielte zur Dönerbude. Der Mann saß noch am
selben Fleck und nippte an einer Espressotasse. Die Tüte lag auf seinem Schoß.
Jetzt stellte er die Tasse behutsam auf den Unterteller und
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