Abzocker
nett aussehenden, ehrlichen, alten Mann nach, bis sie vor dem Shelburne stehen blieben und er sich aus dem Rollstuhl erhob. Dann trank ich meinen Kaffee und fragte mich, wie wir den Mann wohl umbringen könnten.
»Noch einen Kaffee, Sir?«
Ich blickte hoch zu dem Kellner. Ich hatte noch keine Lust, weiterzugehen, aber ich wollte auch keinen Kaffee mehr.
»Nein, jetzt noch nicht.«
»Aber natürlich, Sir. Möchten Sie vielleicht etwas essen? Ich habe hier die Speisekarte.«
Entweder man scheißt oder man räumt die Toilette, eine andere Wahl lassen einem die Burschen nicht. Ich wollte nichts essen, und ich wollte keinen Kaffee. Folglich sollte ich zahlen und verschwinden. Es standen fünfzig leere Tische auf dieser Terrasse, doch offensichtlich waren sie erst zufrieden, wenn einundfünfzig leer waren.
»Einen Martini«, sagte ich müde. »Extra trocken mit Zitrone.«
Er verbeugte sich und verschwand. Kurz darauf erschien er wieder mit dem Martini. Es gab zwei Oliven anstatt der üblichen einen, und er hatte an die Zitrone gedacht, was die meisten nicht tun. Vielleicht wollte er sich mit mir anfreunden.
Ich weiß nicht, warum ich den Drink bestellte. Normalerweise wäre ich jetzt gegangen. Ich wollte keinen Drink, ich wollte nichts essen, und ich wollte keinen Kaffee. Und Brassard hatte ich bereits gesehen. Diese Faktoren, verbunden mit meiner Abneigung für die Terrasse und den Kellner, hätten ausreichen sollen, damit ich sofort verschwand.
Aber ich ging nicht. Und so bekam ich L. Keith Brassard noch einmal zu sehen, diesmal länger und gründlicher.
Ich weiß nicht, wann er auf die Hotelterrasse gekommen war. Ich blickte irgendwann auf, und da saß er, drei Tische von mir entfernt. Ein Kellner stand neben ihm. Mein Kellner. Ich sah ihn von der Seite, und auch aus der Nähe wirkte er vollkommen respektabel.
Ich saß da und kam mir verdammt auffällig vor. Am liebsten hätte ich eine Zeitung gehabt, hinter der ich mich verstecken konnte. Ich wollte den Mann nicht ansehen. Es gibt diesen alten Trick: Man starrt jemanden eine Weile durchdringend an, dann fängt der Betreffende an, unruhig zu werden und dreht sich schließlich um und blickt zurück. Das hat nichts mit Telepathie oder so zu tun. Wahrscheinlich sieht man es irgendwie aus den Augenwinkeln, wenn man angestarrt wird.
Ich war überzeugt, wenn ich Brassard jetzt anstarrte, würde er sich umdrehen und mich ansehen. Doch dazu durfte es nicht kommen. Ganz gleich, wie wir es in New York anstellten, ich hatte einen großen Vorteil: Ich kannte ihn, und er kannte mich nicht. Das war eine Trumpfkarte, und ich hatte nicht die geringste Lust, sie schon hier in Atlantic City zu verlieren.
Folglich ließ ich mir Zeit mit meinem Drink und sah nur hin und wieder zu ihm hinüber. Je länger ich ihn beobachtete, desto härter wirkte er auf mich. Man muss im Innern schon sehr hart sein, wenn man es mit einem so harmlosen Äußeren im Rauschgiftgeschäft zu etwas gebracht hat. Als Gangster hat man viel schneller Erfolg, wenn man wie ein Gangster aussieht. Je mehr man dem Klischee aus Hollywood entspricht, desto schneller wird man akzeptiert. Wenn man nach Wall Street aussieht, dann wird man in der Mulberry Street nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Einen so harten Mann umzulegen, war keine einfache Sache.
Ich aß die erste Olive, als Brassard Gesellschaft bekam. Ein Mann wie er saß nicht einfach so ohne einen guten Grund auf der Terrasse herum und trank Kaffee. Und dieser Grund tauchte jetzt auf. Er war klein und dünn und gut gekleidet und er trug sein langes Haar sorgfältig gekämmt und hatte einen kleinen, gepflegten schwarzen Schnurrbart. Es war der Mann, den ich am Abend zuvor vor dem Shelburne gesehen hatte. Jetzt erinnerte ich mich auch, woher ich ihn kannte.
Beinahe wäre ich an meiner Olive erstickt.
Er hieß Reggie Cole. Er arbeitete für einen Mann namens Max Treger, er und halb New Jersey. Treger war ein weiser, alter Mann, der eine sichere und nicht näher zu definierende Position an der Spitze von allem einnahm, was in New Jersey auf der unsauberen Seite des Gesetzes geschah. Treger kannte ich nur seinem Ruf nach. Reggie Cole war ich einmal vor vielen Jahren auf einer Party begegnet. Reggie war damals noch unwichtig gewesen, aber die Jahre und Max Treger hatten es gut mit ihm gemeint. Reggie war aufgestiegen. Er saß jetzt an der rechten Seite Gottes, wenn man den Gerüchten vertrauen durfte.
Und jetzt saß er an der rechten Seite von L.
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