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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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des Prinzen auf seinen Schädel krachten. Erst jetzt verstand er völlig, worauf er all die Jahre über gewartet, was er am meisten gefürchtet und sich am meisten gewünscht hatte, was ihm wichtiger war als das Geschick ganzer Völker. Vergebung. Er wollte, dass man ihm vergab. Dafür würde er die volle Wahrheit sagen müssen. Das würde er jetzt tun. Diesmal würde er sich an die Wahrheit halten, an die ganze Wahrheit. Und wenn Aliver der Prinz war, den die Bekannte Welt brauchte, würde er wissen, wie er ihr begegnen musste.

32

    Die junge Frau beobachtete, wie der Aal sich durchs glasblaue Wasser schlängelte. Sie lag auf dem Steg, nackt bis auf ein Tuch, das fest um ihre Hüften geschlungen war, die trockenen, groben Holzbohlen rieben rau an ihrem Bauch, ihrer Brust und ihren Beinen. Von der Sonne, die ihr auf den Rücken schien, prickelte ihre Haut. Sie war tief gebräunt, stellenweise schälte sich die Haut, und die feineren Härchen waren ausgebleicht. Obwohl das Mädchenalter schon eine Weile hinter ihr lag – daher das Hüfttuch -, hatte sie sich mit ihren einundzwanzig Jahren noch immer eine knabenhafte Figur bewahrt. Ihre Brüste waren wohlgeformt, sodass die Priester Mühe hatten, den Blick von ihnen abzuwenden, doch sie waren klein und störten sie nicht weiter, was ihr nur recht war. Sie sah keineswegs aus wie die irdische Verkörperung einer Göttin, doch genau das war sie. Sie war die Priesterin Maebens, der höchsten weiblichen Gottheit der Vumu, die auf den weit verteilten Inseln verehrt wurde, welche als Vumu-Archipel bezeichnet wurden.
    Der Aal, den sie so fasziniert beobachtete, war ein Sinnbild von Windungen und Bewegung. Er hielt niemals inne, sondern schlängelte sich eine bestimmte Strecke weit durchs Wasser, dann machte er kehrt und schwamm zurück, schritt sozusagen auf und ab, wobei er wieder und wieder eine Ellipse beschrieb. Das Wasser war über eine Mannslänge tief, und der Aal schwamm dicht an der Oberfläche, doch der glatte, weißliche Sand des Untergrunds war in allen Einzelheiten deutlich zu erkennen. Die junge Priesterin hätte das Tier vor diesem Hintergrund ewig beobachten können. Irgendetwas daran brachte ihr Frieden, stellte eine Frage, deren Antwort sich anfühlte wie das Summen, das der Weg des Aals erzeugt hätte, wäre er hörbar gewesen. Das hätte ihr gefallen, doch bis jetzt hatte sie festgestellt, dass das Leben mehr Fragen stellte, als es beantwortete.
    Schließlich richtete sie sich auf und schritt über das Netz aus Stegen, die in die bogenförmig geschwungene Bucht hinausragten. Aus der Sonnenstellung schloss sie, dass es Zeit wurde, sich für die Abendzeremonie bereit zu machen. Wenn sie nicht bald zum Tempel zurückkehrte, würden die Priester nach ihr suchen. Einen Moment lang erwog sie, es darauf ankommen zu lassen. Die Priester wurden schnell unruhig, und früher hatte sie ihren Spaß daran gehabt. Doch das war Vergangenheit. Es fiel ihr immer schwerer, sich ein Leben ohne streng geregelten Tagesablauf vorzustellen, in dem sie nicht Maeben war.
    Sie ließ die Bucht hinter sich und schritt durch die Stadt namens Ruinat. Es war nicht mehr als ein Fischerdorf, in vieler Hinsicht nicht anders als die anderen Siedlungen auf Vumair, der Hauptinsel des Archipels. Allerdings befand sich hier der Maeben-Tempel, und daher nahm es eine Sonderstellung ein, die nicht zu seinem ärmlichen Aussehen passte. Galat, an der Westküste der Insel, war das Handelszentrum und hatte nichts Heiliges an sich. Ruinat war ein Ort der Demut und lag still in der flirrenden Mittagshitze. Die meisten Dorfbewohner hielten sich in ihren Hütten auf, lagen still da und träumten während der heißen Mittagszeit.
    Barbrüstig und ohne sich zu verstecken schritt die Priesterin über die ungepflasterte Hauptstraße. Aus ihrem irdischen Wesen wurde kein Hehl gemacht. Alle Dorfbewohner kannten sie. Sie hatten miterlebt, wie sie herangewachsen war, nachdem sie mit einem Schwert in der Faust aus dem Meer gestiegen war, eine fremde Sprache gesprochen und ihren wahren Namen noch nicht gekannt hatte. Jahrelang hatten die Dorfbewohner mit ihr zusammen gelacht, ihr Vumu beigebracht, sie durch die Gassen gescheucht und ihr Scherze zugerufen – manchmal auch recht unflätige. Wenn sie Maebens Gewänder trug, wäre natürlich niemand so kühn. Aber jedes Ding hatte seinen Ort und seine Zeit.
    Als sie sich dem Tempel näherte, schritt die Priesterin den Götterweg entlang. Die Totems waren aus den

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