Acacia 01 - Macht und Verrat
wurde, beteuerte, das läge ihm fern. Die eine der beiden Frauen klatschte ihm daraufhin eine Schöpfkelle voll Tilvhecki auf den Teller. Die anderen Gäste rief etwas über den Tisch. Alle Gesichter wandten sich erwartungsvoll Rialus zu. Er erklärte, er sei bereits satt. Pappsatt. Es passe nichts mehr hinein. Obwohl er seine Äußerungen mit pantomimischen Einlagen untermalte, ließ man seinen Protest nicht gelten.
»Esst! Esst! Esst davon!«, rief jemand. Andere nahmen den Ruf auf. Kurz darauf schrien alle auf ihn ein. Manche lehnten sich zu ihm hinüber, sodass ihm ihr stinkender Atem ins Gesicht schlug. »Esst! Esst! Esst davon!«
Schließlich führte Rialus, der sich in diesem Moment ebenso sehr hasste wie die Numrek, den Löffel an den Mund und kippte sich den stinkenden Fleischbrocken auf die Zunge. Das wurde mit brüllendem Gelächter quittiert. Rialus saß regungslos da, die Kiefermuskeln angespannt, das Fleisch ein bleiernes Gewicht in seinem Mund. Der Bruder des Häuptlings trat hinter ihn. Die eine Pranke legte er ihm auf den Kopf, mit der anderen fasste er ihm unters Kinn und zwang seinen Kiefer in kauende Bewegung. Auch dies trug zur Erheiterung der Gesellschaft bei. Die Gäste fielen von den Stühlen, wälzten sich in den Kissen, als hätten sie noch nie etwas so Komisches erlebt.
Als sich der Tumult gelegt hatte, beschloss der Häuptling, mit Hanish Meins Botschafter ein paar ernste Dinge zu bereden. Er schlug einen anderen Ton an; obwohl er ebenso laut und großspurig sprach wie zuvor, gab er damit den anderen Anwesenden zu verstehen, dass sie sich abwenden und sich untereinander unterhalten sollten. »Nun, Rialus Neptos, hört, welche Botschaft Ihr an Hanish Mein übermitteln sollt. Und wappnet Euch. Es könnte sein, dass es ihm nicht gefällt. Wir fordern ebenfalls eine Quote. Verstanden?«
Rialus meinte, sich verhört zu haben. Er schabte noch immer mit der Zunge am Gaumen, um den Geschmack des Tilvhecki loszuwerden.
Calrach wiederholte: »Die Lothan Aklun bekommen eine Quote; die Numrek sollten ebenfalls eine bekommen.«
Weiter reichte seine Logik in dieser Angelegenheit nicht. Rialus hätte ihn beinahe gefragt, wozu er noch mehr Sklaven wolle. Die, über die sie bereits verfügten, reichten doch sicherlich aus, um all ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Allerdings fürchtete er sich vor der Antwort. Stattdessen sagte er: »Verehrter Calrach, das kann unmöglich Euer Ernst sein. Ihr seid für Eure Dienste bereits großzügig entlohnt worden. Hanish wird Euer Wunsch nicht gefallen.«
Calrach setzte seine gekränkte Miene auf, mit der er Rialus nachahmte. »Ich spreche nur diesen einen Wunsch aus«, sagte er. »Nur diesen einen. Wer könnte einem einen einzigen Wunsch abschlagen?« Dann blickte er die Tafel entlang und fügte in ganz leicht verändertem Ton hinzu: »Jedenfalls ist es so lange dieser eine Wunsch, bis mir ein anderer einfällt.«
Diese Bemerkung war offenbar wieder an die Allgemeinheit gerichtet und witzig genug, um als Numrek-Scherz durchgehen zu können. Rialus fühlte, wie ihm eine Hand auf den Rücken schlug. Er zuckte zusammen, während die Ungeheuer ringsumher vor Vergnügen grölten. Wieder einmal war Rialus Neptos zur Zielscheibe des Spotts geworden. So konnte es nicht weitergehen. Es musste eine Möglichkeit für ihn geben, sich ein besseres Leben zu schaffen. Es musste, musste, musste. Er würde sie finden oder sterben. Wie sehr er Hanish Mein, diesen selbstgefälligen, undankbaren Balg, doch hasste. Und Maeander … An Maeander sollte er gar nicht erst denken. Seinen Abscheu vor Hanishs Bruder konnte er nicht in Worte fassen – nicht einmal in Numrek-Worte. Insgeheim schwor er sich, dass es beide Brüder eines Tages bereuen sollten, sich Rialus Neptos’ Zorn zugezogen zu haben.
39
Aliver sah mit einer Art stummer Ergebenheit zu, wie Stein sich in lebendes Gewebe verwandelte, als machte lediglich die Tatsache, dass er dabei zusah, etwas so Erstaunliches möglich. Angst empfand er nicht, auch keine Verwirrung. Als hätte er sich aus seinem Körper gelöst, beobachtete er, wie Granitblöcke sich zu groben menschlichen Formen streckten. Jede stand auf zwei säulenartigen Beinen, von den Schultergelenken schwangen fast ebenso dicke Arme, Köpfe mit schwarzen Augenhöhlen wandten sich ihm zu. Ihre Bewegungen waren steif und bedächtig. Sie schritten auf ihn zu wie seltsame Leichenbestatter aus Erde und Stein, die kamen, um seinen Leichnam zu säubern oder ihn zu
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