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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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beseitigen. Denn darauf lief es wohl hinaus, oder? Er lag hier im tiefen Süden im Sterben, von der Sonne ausgetrocknet, besiegt. Er war so ausgedörrt wie der Sand, und jetzt kamen die Steinwesen der Erde, um ihn zu holen. Aliver fragte sich, warum ihm das niemand angekündigt hatte. In keiner religiösen Überlieferung war davon die Rede.
    Die Steinwesen umringten ihn und drängten sich näher. Sie schoben Fortsätze ihrer Gliedmaßen unter seinen Leib und hoben ihn empor. Mehrere teilten sich sein Gewicht, und sie bewegten sich voran, während er über dem Boden hing. Es war wie Schweben. Sein Kopf sank in den Nacken, und eine Weile sah er die Welt verkehrt herum. Er glaubte, sie reden zu hören, war sich jedoch abermals nicht sicher. Irgendetwas ging zwischen ihnen hin und her, doch es war mehr wie Ausatmen als wie eine der Sprachen, die er kannte.
    Er hatte keine Ahnung, wie lange oder wie weit sie ihn trugen. Er begriff, dass die Erde sich unter ihm drehte. Er sah die Sonne über sich dahinziehen, beobachtete, wie die Sterne zu Leben erwachten und davonstürmten, dachte jedoch nicht über solche Dinge wie das Verstreichen der Zeit oder die Bedeutung von Bewegung nach. Es war keine Erfahrung, die sich in verstreichenden Augenblicken messen ließ. Ein Moment ging vielmehr so unmerklich in den nächsten über, dass alles von Dauer war. Es gab weder Zukunft, Gegenwart noch Vergangenheit. All diese Dinge waren dieselben. Er vergaß, wer er war. Er fühlte keinerlei Last. Sein Leben und all der Druck, der auf ihm gelastet hatte, hatten keine Substanz. Später sollte ihm diese Erfahrung mehr als alles andere an der Begegnung mit seinen Rettern nachgehen, ein lockendes Versprechen auf die andere Seite des Lebens.
    Als Aliver zu echtem Bewusstsein erwachte, geschah dies, weil jemand ihn anstieß und einen Namen sagte, seinen Vornamen und dann den seiner Familie. Die Stimme fragte ihn, ob er jetzt erwachen und sich erklären würde. Er war zu ihnen gekommen – warum? Auf seinem Brustbein lastete ein Druck, schwer genug, um ihm mit einem Aufstöhnen die Luft aus dem Mund zu treiben. Er schlug die Augen auf.
    Über ihm war der Nachthimmel. Eine schwarze Decke, unter der ein zarter Wolkenschleier wallte, gesäumt vom Rand einer Schüssel aus blassrotem Stein. Er wollte seine Umgebung betrachten und in Erfahrung bringen, wo er war. Vielleicht war dies ja doch der Tod. Mühsam setzte er sich auf. Jemand saß dicht neben ihm, mit gekreuzten Beinen, regungslos. Es handelte sich um eine menschenähnliche Gestalt, verwittert und betagt, aus Stein gehauen und vielleicht so uralt, dass Zeitalter dahinwehenden Sandes ihre Züge glatt gerieben und Gruben in weiche Stellen des Steins gefressen hatten, sodass mit der Zeit kleine Stück abgefallen waren. Die Augen waren glatt und zeigten einen Hauch Farbe, als wären sie einmal bunt bemalt gewesen und hätten sich einen Rest ihrer früheren Strahlkraft bewahrt. Die Gestalt war nahe genug, um sie zu berühren, und Aliver krümmte vor unwillkürlichem Verlangen, genau das zu tun, die Finger.
    Die Gestalt blinzelte. Sie öffnete die Lippen wie ein Karpfen, der Wasser einsaugt, dann verharrte sie wieder reglos. Ein Gedanke formte sich in Alivers Kopf, doch es dauerte eine Weile, daraus verständliche Worte und Sätze zu formen. Er wusste – ohne dass er es sich hätte erklären können -, dass die Botschaft von dem lebenden Stein vor ihm kam. Er sagte, er freue sich, dass Aliver erwacht sei. Die anderen würden jetzt kommen, denn sie alle wollten wissen .
    Aliver öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Ruckartig hob die Gestalt den Arm, hielt die flache Hand in die Luft zwischen ihnen und hieß ihn schweigen. Warte . Wiederum hatten sich erst die Bedeutung und dann das Wort in seinem Kopf geformt. Lass die anderen kommen .
    Ein Frösteln durchlief Aliver. Er war Zeuge eines unheimlichen Geschehens, das er einfach nicht zu glauben vermochte. Immer mehr Gestalten wie diejenige, die neben ihm saß, traten in den felsumschlossenen Raum. Es waren dieselben, die ihn hierhergetragen hatten. Er wusste das, und doch waren sie anders. Ihre Bewegungen waren schwer zu erkennen. Als körperliche Wesen wirkten sie reglos, und dennoch war der Raum von Bewegung erfüllt, als folgten Gespenster ihren materiellen Körpern durch die Welt und würden nur dann sichtbar, wenn sie reglos verharrten. Selbst als sie still um ihn herumsaßen, konnte Aliver ihre jeweilige Gestalt oder ihr Gesicht nur erkennen, wenn

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