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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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schien es, als versuchten ihre Körper, die inneren Organe herauszulösen und sie ebenfalls dem Meer zu opfern.
    Im Norden erstreckte sich die eintönige talayische Küste, nichts weiter als ein ferner Dünenstreifen, dessen Monotonie weder durch Bäume noch durch Berge oder Siedlungen aufgelockert wurde. Trotzdem hätte Sprotte sich liebend gern an dieses trostlose Ufer geschleppt, sich durchnässt und rotznasig auf den Hintern gesetzt und der in der Ferne verschwindenden Ballan hinterhergewinkt. Derlei Hirngespinste halfen ihm zumindest, sich die Zeit zu vertreiben.
    Sie beobachteten Dinge, von denen sie bislang nur gehört hatten. Bei Nacht wallten Lichter, bunte Schleier in allen Farben, über den Himmel. Sprotte spitzte die Ohren, denn solche gewaltigen Farberscheinungen mussten die Luft doch wie Donner zerreißen. Ihre Lautlosigkeit erschien ihm stets falsch. Einmal führte eine Walfamilie an Steuerbord ein Ballett vor. Die Tiere sprangen nacheinander in die Luft, legten sich auf die Seite und krachten inmitten einer Gischtwolke aufs Wasser nieder. Ein andermal segelten sie an einer großen Insel aus schwimmendem Eis vorbei. Der Mann im Ausguck gab mit sich überschlagender Halbwüchsigenstimme Alarm. Später gab er zu, er hätte Angst gehabt, sie wären auf eine Gespensterinsel gestoßen, etwas, was Bewohner der Bekannten Welt nicht erblicken sollten, ein Verstoß, für den sie bestraft werden würden. Sprotte hatte dem jungen Mann das Haar gezaust. Insgeheim hegte er ganz ähnliche Befürchtungen. Was für ein Unterfangen! Er konnte kaum glauben, dass es Wirklichkeit war, und staunte immer noch, wie leicht seine Besatzung es ihm gemacht hatte.
    Angefangen hatte es ein paar Tage nach dem Angriff auf die Plattformen. Als sie bei Sonnenuntergang auf dem Deck der Ballan beieinandersaßen, hatte er von seinem Tee aufgeschaut und erklärt: »Ich habe ein paar Dinge zu sagen. Ihr werdet das eine oder andere vielleicht für verrückt halten, aber ich sage es trotzdem.«
    Zunächst versicherte er ihnen, wie sehr er jede Minute der Zeit mit ihnen genossen hätte. Es sei wunderbar gewesen, mit ihnen von einer Außeninsel zur anderen zu segeln, ein gefährliches, ungebundenes Leben zu führen, das allein den Gesetzen gehorchte, die sie sich selbst gegeben hätten. Jeden Einzelnen von ihnen betrachte er als Bruder oder Schwester, als Tante oder Onkel. Er nannte einige beim Namen. Er rief ihnen gemeinsame Erlebnisse in Erinnerung. Sie seien ein eigenständiges Reich gewesen, nicht wahr? Die Seefahrergilde sei ihr wahrer Feind, und sie hätten ihr mehr als einmal ordentlich eins aufs Dach gegeben. Darauf sei er stolz.
    Allerdings, fuhr er fort, könne es nicht ewig so weitergehen. Er stamme vom Innenmeer, aus dem Herzen der Bekannten Welt. Er sei vor dem Chaos geflohen und habe versucht, es zu vergessen. Er habe sich bemüht, es hinter sich zu lassen und so zu tun, als beträfe es ihn nicht. Fast sei ihm das auch gelungen. Aber nicht ganz. Er hatte niemals wirklich vergessen. Er könne nicht so tun, als ginge ihn seine Heimat, sein Blut und seine Bestimmung nichts an. Jetzt sei die Zeit für ihn gekommen, sich dem Schicksal zu stellen, das er jahrelang hinausgeschoben hätte. Also würde er genau das tun.
    Beinahe zerknirscht erklärte er, jetzt, da Dovian tot sei, gehöre die Ballan ihm. Er werde niemanden zwingen, sich ihm anzuschließen, doch er wolle um Talay herum und an der Ostküste entlang ins Innenmeer segeln. Wenn Leeka Alain recht habe, braute sich ein Krieg zusammen. Er habe gute Gründe, Hanish Mein zu hassen, und wolle nach Kräften dazu beitragen, seiner Herrschaft ein Ende zu machen. Er hoffe, dass wenigstens ein paar seiner Zuhörer ihn begleiten würden. Das aber sei jedem selbst überlassen. Es würde gefährlich werden, die Siegesaussichten seien gering und der zu erwartende Lohn ungewiss, aber …
    »Nun, mehr kann ich dazu nicht sagen.«
    Er wartete schweigend. In Wahrheit gab es durchaus noch einiges zu sagen. In Wahrheit war das Einzige an alldem, was ihm wirklich schwerfiel, das, was noch zu sagen war. Dovian hatte ihn dazu gedrängt – hatte ihm das Versprechen abgenommen, dass er es tun würde -, und er war schließlich selbst überzeugt. Er musste es sagen. Er musste Anspruch auf seine Identität erheben.
    »Nein, das stimmt nicht«, fuhr er fort. »Bevor ihr euch entscheidet, wäre da noch etwas...«
    Er zögerte erneut. Ein Mann kann nicht wieder zum Knaben werden, doch genauso kam es ihm vor,

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