Acacia 01 - Macht und Verrat
zufrieden damit. Ihr solltet mein Anwesen in Manil sehen. Ich habe Diener für jeden erdenklichen Zweck, Mena. Wirklich für jeden. Als Marah hätte ich nie einen solchen Wohlstand erreicht. Wenn Hanish oder Maeander mich rufen, stehe ich bereit, aber die meiste Zeit über führe ich ein Leben wie die reichsten Edelleute.«
»Dann denkt Ihr nur an Euch selbst?«
»An wen sollte ich sonst noch denken? Ich bin doch nur ich selbst...«
»Dann macht etwas Besseres aus Euch! Ihr braucht es nur zu wollen. Das ist etwas, was ich selbst herausgefunden habe.«
Anstatt ihr direkt zu antworten, fragte Larken Mena, ob ihr die Mein-Legende vom Riesenbär Thallach bekannt sei? Dieser Thallach, sagte er, sei ein gewaltiger Nordbär gewesen, mit dem sich die Besten der Mein gemessen hätten. Einer nach dem anderen sei in seine Höhle eingedrungen und habe mit ihm gekämpft. Einer nach dem anderen sei umgekommen. Thallach hätte so viel Fleisch gehabt, dass er seine Höhle gar nicht mehr zu verlassen brauchte. Die Nahrung kam freiwillig zu ihm. So ging es viele Jahre. Viele Männer starben. Eines Tages überzeugte ein heiliger Mann sein Volk, es auf andere Weise zu versuchen. Warum immerzu die Besten, Stärksten und Beliebtesten in den Tod schicken? Warum nicht mit dem Bären Frieden schließen? Die verängstigten Menschen fanden das weise. An der Spitze einer Abordnung ging der Heilige zum Bären, überreichte Thallach eine Friedensfeder und versprach ihm, sie würden fortan für ihn sorgen und ihn als Gott verehren. »Wisst Ihr, was Thallach ihm geantwortet hat?«
Larken hatte seinen Schemel dicht an Menas Sitzbank gerückt. Er wartete, doch seine selbstzufriedene Miene ließ erkennen, dass er nicht ernsthaft mit einer Antwort rechnete. »Thallach sagte...« Er beugte sich vor, bleckte die Zähne und knurrte, ein gedehntes, tiefes Brummen. Sie spürte seinen heißen Atem am Ohr. »Und dann hat er sie mit Haut und Haaren verschlungen, wie er es bereits mit den anderen getan hatte. Was sollte man von einem Bären auch anderes erwarten? Thallach konnte sich nicht aussuchen, was er sein wollte. Und ich kann das auch nicht. Ich will es auch gar nicht! Also bemüht Euch nicht, mich zu etwas zu machen, was ich nicht bin. Aber ich will Euch etwas anvertrauen. Danach werde ich Euch fragen, ob Ihr immer noch glaubt, ich könnte meine Schuld wiedergutmachen.«
Er schilderte ihr, welche Rolle er bei Corinns Gefangennahme gespielt hatte. Er wollte ihr klarmachen, dass er nicht bloß wie ein besiegter Soldat die Seite gewechselt habe. Er hatte nicht einfach nur einem neuen Herrn Treue geschworen, sondern sich sein Leben lang auf einen solchen Verrat vorbereitet. Er hatte es darauf angelegt, das Vertrauen seiner Marah-Vorgesetzten zu gewinnen. Er war ein hervorragender Soldat und ließ sich niemals etwas zuschulden kommen. Den Schwertkampf übte er mit solchem Eifer, dass seine Lehrer stets voll des Lobes waren. Alle Anforderungen der Ausbildung erfüllte er, ohne mit der Wimper zu zucken, und meldete sich wiederholt für Spezialeinsätze. Dabei wartete er nur auf eine bessere Gelegenheit.
Als er Hanish Meins Wüten zuschaute, wurde ihm klar, dass es sinnlos war, gegen ihn zu kämpfen. Corinn nahm er mit jubelndem Herzen in seine Obhut. Sie war eine leichte Beute. Ihr könnt mir vertrauen. Mein einziges Bestreben ist, Euch zu beschützen, hatte er zu ihr gesagt. Mehr war nicht nötig. Als er sie Hanish übergab, verspürte er nicht die leisesten Gewissensbisse. Mit den anderen wäre er ebenso verfahren, auch mit Mena, wenn sie das Pech gehabt hätte, ihm in die Hände zu fallen.
»Ich hatte das Pech«, scherzte Mena ohne Heiterkeit.
Sie verbrachte die Nacht damit, einen Gedanken zu wälzen, der ihr noch nie in den Sinn gekommen wäre. Was wäre gewesen, wenn Larken sie damals in die Hände bekommen hätte? Wenn sie wie Corinn im Palast herangewachsen wäre? Wäre sie dann derselbe Mensch wie jetzt? Ganz bestimmt nicht. Das konnte sie sich nicht vorstellen. Sie konnte sich nicht vorstellen, nicht auf Vumu aufgewachsen zu sein. Sie konnte sich nicht vorstellen, niemals Maeben-auf-Erden gewesen zu sein. Das war so sehr ein Teil von ihr. Obwohl sie mit der Göttin hatte brechen müssen, obwohl sie erkannt hatte, dass Maeben ein Betrug gewesen war und sie sie getötet hatte, würde sie trotzdem kein anderer Mensch sein wollen als der, der sie jetzt war: die Mena, die aus Maebens Schatten trat.
Die Bestimmung, die ihr Vater Corinn zugedacht
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