Acacia 01 - Macht und Verrat
erzählte, was alle anderen bereits wussten? Er war noch nicht bereit, ihr Mitgefühl anzunehmen, doch dieser Bitte konnte er nachkommen.
Im Verlauf der nächsten halben Stunde berichtete er ihr alles, was er wusste. In erstaunlich gewandtem Ton schilderte er Alivers Handlungen, die Stärke und die Art seiner Truppen. Er erzählte von den Gerüchten, die über ihn in Umlauf waren, Gerüchte von Zauberei und dergleichen. Allerdings vermochte nur wenig davon Hanish zu beeindrucken. Der Häuptling sei verärgert über Alivers Rückkehr. Er hätte es bei weitem vorgezogen, den Umzug der Tunishni erfolgreich abzuschließen. Hanish hatte alles an Truppen aus den Provinzen abgezogen, was er entbehren konnte, und sie um Bocoum herum gesammelt. Die Numrek hätten sich ihnen bislang noch nicht angeschlossen, seien aber bereit, sich in Marsch zu setzen, und würden das auch tun, sobald er zurückkehre. Der Krieg, sagte Rialus, sei nur noch wenige Tage entfernt.
Die Art und Weise, wie Corinn ihm Fragen stellte, versetzte ihn in Erstaunen. Wieder und wieder verlangte sie, Einzelheiten zu hören, Erläuterungen und Erklärungen. Er bemühte sich nach Kräften, sie zufrieden zu stellen. Als sie ihn fragte, von wem die größte Gefahr für Alivers Armee ausgehe, antwortete er: »Von den Numrek natürlich. Von dem Volk, bei dem ich Botschafter bin.«
»Ja, die unbesiegbaren Numrek... Sind sie wirklich so wild?«
Rialus sang eine Weile das Loblied der Numrek, was ihre kämpferischen Stärken betraf. In Anbetracht des Hasses, den er für sie empfand, entbehrte das nicht einer gewissen Ironie, doch er fühlte sich verpflichtet, auf Corinns Fragen einzugehen.
»Sollte sich die ganze Welt gegen sie wenden, würden natürlich auch sie besiegt werden«, schloss er, »aber nicht ohne gewaltigen Schaden anzurichten. Ich bin sicher, Hanish Mein hat seinerzeit erwogen, gegen sie zu Felde zu ziehen. Aber das ist lange her. Jetzt ist er froh, dass sie mit ihm verbündet sind.«
»Dann ist er also auf sie angewiesen?«
»Sehr sogar. Hanish mag zwar noch ein paar Trümpfe in der Hand haben, doch auf meine Schützlinge kann er ganz bestimmt nicht verzichten.«
Corinn wirkte besorgt und verunsichert. Einen Augenblick lang schien sie Rialus zu vergessen. Sie legte die Hand so aufs Fensterbrett, dass ihre Brüste zur Geltung kamen. Fast sah es so aus, als könnte sie jeden Moment ohnmächtig werden. Ihre Augen starrten mit einem Ausdruck durchs Fenster, der zeigte, dass sie so eingehend nachdachte, dass sie nichts wirklich wahrnahm. Sie kaute auf ihrer Unterlippe.
»Rialus, was ist Euer größter Wunsch?« Sie wandte sich zu ihm um. Die Entschlossenheit in ihrer Miene und ihrer Stimme deuteten darauf hin, dass sie mit dem, was sie beschäftigt hatte, ins Reine gekommen war und weiter voranstreben wollte. »Ich glaube, ich weiß es. Ihr möchtet respektiert werden. Ihr möchtet belohnt werden. Ihr wollt, dass Hanish anerkennt, wie sehr Ihr ihm und Maeander geholfen habt, über meinen Vater zu triumphieren. Ihr möchtet den gleichen Lohn, wie Larken ihn empfangen hat. Ihr möchtet neben einer schönen Frau aufwachen, die Euch jeden Wunsch von den Augen abliest. Das sind einige Eurer Wünsche. Wer wollte es Euch verdenken? Weshalb sollte ein ehrgeiziger Mensch wie Ihr keine solchen Sehnsüchte haben?«
Rialus öffnete den Mund, doch Corinn kam ihn zuvor.
»Hanish wird Euch niemals etwas davon gönnen. Er lacht über Euch. Er hält Euch für einen Narren, einen Feigling, einen Idioten. Einmal hat er gescherzt, wenn er Euch nicht zum Botschafter der Numrek ernannt hätte, wärt Ihr sein Hofnarr geworden. Dafür bräuchtet Ihr nicht einmal zu üben. Ihr müsstet nur Ihr selbst sein. So denkt er von Euch.«
»Ich...«
»Ihr wisst, dass ich die Wahrheit sage. Das war Euch schon immer klar, und deshalb hasst Ihr Hanish, nicht wahr?«
»Von Hass würde ich nicht sprechen«, sagte Rialus. »Prinzessin, ich hatte den... den Eindruck, Ihr würdet Hanish lieben. Dass ausgerechnet Ihr...«
Corinn warf den Kopf in den Nacken und lachte. Dabei öffnete sie den Mund so weit, dass er ihren Gaumen sehen konnte. Ein verwirrender Anblick.
»Ihr seid ein seltsamer Mann«, meinte sie, nachdem sie sich wieder gefasst hatte. »Ich liebe Hanish nicht. Ihr etwa?«
Rialus war froh, dass sie keine Antwort von ihm erwartete.
»Natürlich nicht. Ihr seid wie ich.« Sie legte die Hand zwischen ihre Brüste, irgendwie eine kämpferische und keine sinnliche Geste:
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