Acacia 01 - Macht und Verrat
gierigen Mündern und empfingen sie mit klaren Augen, zumal immer mehr sich aus der Nebelsucht befreiten. Bisweilen erwachte Thaddeus nachts voller Angst, die Entwicklung könnte sie überrollen. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr.
Noch immer beriet der alte Mann den zukünftigen König, doch es kam immer häufiger vor, dass er Alivers Vorstellungen in die Tat umsetzte, anstatt umgekehrt. Thaddeus hielt die Verbindung zur weiten Welt durch alle Kanäle aufrecht, die ihm zur Verfügung standen. In allen Winkeln der Bekannten Welt ließ er den heimlichen Widerstand wissen, dass Aliver Akaran auf den Plan getreten war. Jetzt bestand kein Grund zur Zurückhaltung mehr. Er stellte sich die Szenen vor, die sich abspielten, während die Nachricht sich verbreitete: Überfälle auf Besitzungen der Mein. Angriffe auf Handelskarawanen. Niedergebrannte Vorposten. Aufstände der Bergarbeiter. Attacken auf kleine Soldatentrupps. Aliver wollte den Mein das Leben an möglichst vielen Fronten so schwer machen, wie es nur ging. Allerdings wollte er, dass diese Aktionen im kleinen Rahmen blieben. Seine Absicht war es, besonnenen Widerstand in den fernsten Winkeln des Reiches zu säen, gleichzeitig seine Armee aufzubauen und aus dem Herzen Talays vorzurücken. Die Armee sollte zu einer gewaltigen Woge anschwellen. Hanish Mein sollte keine andere Wahl haben, als sich ihm in einer Schlacht zu stellen, die keinen Vergleich mit den Schlachten des ersten Krieges zu scheuen bräuchte.
Alivers Soldaten sprachen verschiedene Sprachen, pflegten verschiedene Bräuche und führten auf verschiedene Weise Krieg. Seiner Armee gehörten Junge und Alte an, Männer und Frauen, erfahrene Krieger und frische Rekruten. Fischer, Arbeiter und Bergleute, Hirten und Bauern; alle nur erdenklichen Berufe waren vertreten. Aus so unterschiedlichen Gruppen eine Streitmacht zu schmieden, stellte eine äußerst schwierige Aufgabe dar. Hanish hielt ihren Vormarsch nach Norden nicht auf, setzte aber die Wachtruppen der Provinzen zu einem zentralen Sammelpunkt in Marsch. Es wurde gemeldet, er ziehe entlang der talayischen Küste Truppen zusammen. Der Zusammenstoß der beiden Armeen war sehr nahe.
Zum Glück konnte Leeka Alain es gar nicht mehr erwarten, wieder ein militärisches Kommando zu übernehmen. Die Legende von dem General, der auf einem Nashorn ritt, war noch in frischer Erinnerung. Schließlich war Leeka der Erste, der einen Numrek um einen Kopf kürzer gemacht hatte. Er war der einzige Überlebende einer ganzen Streitmacht und hatte im ersten Krieg Schlacht um Schlacht bestritten. Obgleich inzwischen ein paar Jahre älter, war er immer noch ein Feldherr, dem die Soldaten bereitwillig ins Getümmel folgen würden. Voller Begeisterung stürzte er sich auf die neue Aufgabe, Alivers wachsende Armee zu organisieren und auszubilden.
Er teilte die Männer entsprechend ihren unterschiedlichen
Begabungen verschiedenen Einheiten zu. Die Offiziere wies er an, sich Gedanken zu machen, was jeder Einzelne zur Stärkung des Ganzen beitragen könne. Er vereinfachte die Schlachtbefehle und wählte aus verschiedenen Sprachen die einprägsamsten Begriffe aus, damit jeder Soldat aus dem Mund der Offiziere wenigstens ein paar vertraute Worte vernahm. Er lehrte die Soldaten, sich als Teil eines größeren Ganzen zu begreifen. Mit Scheingefechten, bei denen neue Truppenteile gegen erfahrene Veteranen kämpften, gewöhnte er sie an das dichte Getümmel zweier aufeinandertreffender Heere. Der Drill war anstrengend, doch er achtete darauf, dass ihnen ausreichend Kraft blieb, um das tägliche Marschpensum zu bewältigen. Die ständig hinzuströmenden Rekruten wurden eingegliedert und unverzüglich der täglichen Routine unterworfen. Vielleicht war er noch nicht vollständig bereit, es mit den Punisari oder den Horden der Numrek-Krieger aufzunehmen – das wäre auch zu viel verlangt gewesen. Doch er hatte seine Soldaten so gut wie möglich vorbereitet, wenngleich er gezwungen gewesen war, einen Großteil der acacischen Militärtradition über Bord zu werfen und die ganze Unternehmung von Grund auf neu zu überdenken.
Dariels Ankunft hatte Aliver mehr als alles andere Auftrieb gegeben. An jenem Abend war Thaddeus zum Beratungszelt geeilt und hatte die beiden Brüder eng umschlungen vorgefunden. Offenbar hatten sie einander schon eine ganze Weile so festgehalten. Die Arme umeinandergelegt, saßen sie auf Feldhockern und unterhielten sich halblaut. Thaddeus ging zu ihnen. Er wusste
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