Acacia 01 - Macht und Verrat
»Wir beide haben mit der Liebe abgeschlossen. Ich werde mein Herz niemals einem Mann schenken. Nicht einmal Euch, Rialus, so bezaubernd Ihr auch sein mögt. Es ist mir gleich, was Ihr von mir denkt. Ich kann Eure Gedanken nicht aus Eurem Kopf vertreiben, und es ist mir gleich, was Ihr Euch ausmalt. Aber ich werde Euch niemals lieben, und das wollt Ihr doch auch gar nicht, habe ich recht? Ihr begehrt nur die äußere Hülle, aber nicht das, was darinnen ist. Außerdem werdet Ihr viele andere Frauen haben. Schönere und dümmere Frauen als mich. Versteht Ihr?«
Er nickte. Er verstand. Sie hatte ihm klargemacht, dass sie nicht die geistlose Schönheit war, für die er sie gehalten hatte. Hinter ihrem Gesicht gab es vieles, von dem er nichts gewusst hatte. Sie war etwas, begriff er, wofür er sie niemals gehalten hätte. Gefährlich. Das traf es. Er wusste nicht genau, worin diese Gefahr bestand und worauf ihre Macht sich gründete, hatte aber keinen Zweifel daran, dass sie eine Frau war, mit der man sich nicht überwerfen sollte.
Als hätte sie seine Gedanken erraten, sagte Corinn: »Hanish hat mich auf eine Art und Weise verraten, die ich ihm niemals verzeihen werde. Auf eine Art, die ich niemals vergessen werde. Diesmal nicht. Rialus, ich hoffe, Ihr werdet Euch als verlässlicher erweisen. Ich möchte, dass Ihr Calrach eine Botschaft überbringt. Ich habe ein Angebot für ihn. Ich habe überlegt, wie ich die Insel verlassen könnte, aber ich weiß nicht, wie ich es anstellen soll. Ich bin hier gefangen, Rialus. Doch mit Eurer Hilfe... Wenn unser Vorhaben glückt, werdet Ihr ein sehr glücklicher Mensch sein. Nach dem Krieg werden Euch sämtliche Belohnungen zuteilwerden, die Ihr zu verdienen glaubt. Ich und mein Bruder werden dafür sorgen.«
57
Thaddeus Clegg war überaus zufrieden mit dem Mann, zu dem Aliver Akaran geworden war. Vielleicht sah niemand so klar wie der ehemalige Kanzler, wie sehr der Prinz von Erscheinung und Stimme her seinem Vater ähnelte, die wachen braunen Augen und die gleiche aufrechte Haltung. Er erinnerte sehr an Leodan in seiner Jugend. Bei Aliver aber traten diese Eigenschaften noch viel deutlicher zu Tage. Leodan hatte von Reformen und Gerechtigkeit geträumt und darüber nachgegrübelt, hatte jedoch niemals wirklich gehandelt. Aliver lebte und atmete dies alles jetzt und trachtete danach, die Welt entsprechend zu formen. Sein anfängliches Zögern, die Last der Verantwortung zu übernehmen, hatte Thaddeus Sorge bereitet, doch das war anscheinend Vergangenheit. Seit seiner Rückkehr von der Suche nach den Santoth hatte der Prinz nie wieder gezaudert. Als er bat, wieder des Königs Vertrauten tragen zu dürfen, ging Sangae das Schwert bereitwillig holen. Mit der Waffe an der Hüfte sah Aliver Akaran in jeder Hinsicht aus wie ein zukünftiger Held.
Alivers erste Aufgabe – die Halaly als Verbündete zu gewinnen – war nicht leicht gewesen. Er hatte sich geweigert, in dem Streit mit einem Nachbarstamm Partei zu ergreifen und diesen auszulöschen. Stattdessen hatte er die Halaly dazu gebracht, ihre kleinlichen Streitigkeiten zu überwinden. Schließlich hätten sie einen gemeinsamen Feind, der eine viel größere Bedrohung darstelle als ein talayischer Nachbarstamm. Wenn sie Hanish Mein besiegten, so argumentierte er, werde sich ihr Geschick am ehesten wenden. Er versprach ihnen, als König nichts zu vergessen, was für oder gegen ihn unternommen worden war. Er werde sie alle auf vielerlei Weise belohnen. Die Halaly, so hatte er gesagt, könnten Führer unter den Talayenstämmen sein oder sie könnten das einzige Volk sein, das in der kommenden Welt nichts zu sagen hatte. Zukünftige Generationen würden über sie lachen und voller Spott auf ein Volk zurückblicken, das dem Lauf der Geschichte gegenüber so blind gewesen war, dass es dadurch der Bedeutungslosigkeit anheimgefallen war. Es konnte ihm nicht leicht gefallen sein, Oubadal ins Gesicht zu blicken und so etwas auszusprechen, doch Aliver hatte es geschafft.
Der Kanzler erfuhr zunächst von anderen von alldem. Als der Prinz von den Halaly zurückkehrte und den Marsch nach Norden begann, war er selbst Zeuge. Jeden Nachmittag versammelten sich die Menschen, um Aliver zu hören, wenn er jedem, der ihn aufsuchte, weitschweifige Vorträge hielt. Er sprach mit prophetischer Leidenschaft und entwarf von Tag zu Tag immer großartigere Visionen. Dabei äußerte er Überzeugungen und Absichten, die Thaddeus nicht von ihm erwartet
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